Nach dem Erdbeben in Marokko Steinberge, Schutt und Schmerz
Während in Marrakesch nach dem schweren Erdbeben das Aufräumen beginnt, warten viele Dorfbewohner in Marokko weiter auf Hilfe und medizinische Versorgung.
Sonntagmorgen, Djemaa El Fna - der berühmte große freie Platz in Marrakesch, auf dem Tag und Nacht Besucher durch Garküchen, Händler und Schlangenbeschwörer unterhalten werden. Auch hier sieht man deutliche Spuren des Erdbebens. Die rote historische Mauer ist teilweise kaputt, durch die roten Gebäude ziehen sich lange Risse, Bagger räumen Trümmer weg. Gleichzeitig sitzen Touristen in Cafés oder werden in Gruppen durch die Altstadt geführt. Marrakeschs fast einzige Wirtschaftsquelle, der Tourismus, läuft noch.
Vor einer kleinen Moschee, deren Minarett komplett eingestürzt ist, spricht uns Kamil Drzisga an, als er das Mikrofon sieht. Kamil ist 28 Jahre alt, aus Limburg, mit einem Freund ist er für ein paar Tage in der Stadt. Er war in seinem Hotel in der labyrinthartigen Altstadt, als das Erdbeben am Freitagabend losging.
"Als es dann angefangen hat, dachten wir, am Anfang kommt irgendwie ein Flugzeug herunter", erzählt Drzisga. "Und dann sind wir auf die Straße gerannt. Das war alles sehr panisch." Man sähe den Leuten an, dass sie "noch sehr damit arbeiten, was hier alles passiert ist". In der vergangenen Nacht hätten noch viele Leute draußen geschlafen, sagt der Limburger. Läden versuchten teilweise wieder aufzumachen, aber es würde sicherlich noch ein paar Tage dauern, bis wieder ein gewisses Maß an Normalität eintritt.
Aus Angst vor Nachbeben schlafen viele Menschen auf dem zentralen Platz Djemaa El Fna in Marrakesch im Freien.
Erdbeben überraschte viele im Schlaf
Aus Marrakesch fahren wir in die Berge. Dort schaffen große gelbe Bagger mächtige Steinbrocken von den engen Straßen, die sich durch Schluchten schlängeln. Hier in der Nähe ragt Marokkos größter Berg - der Toubkal - mehr als 4.000 Meter in die Höhe. Das Dorf Tansgharte ist etwa 50 Kilometer von Marrakesch entfernt. Ungefähr 300 Menschen leben hier. Erschreckend viele Häuser liegen in Schutt und Staub. Einer der Einwohner, Mountasir Itri, will sein Haus zeigen - oder das, was davon noch übrig ist.
Immer wieder läuft er an Dorfbewohnern vorbei: umarmen - dann folgen Beileidsbekundungen. Neun Menschenleben hat das Erdbeben hier gekostet. Darunter eine ganze Familie. Das Erdbeben hat die Familie wie viele hier im Schlaf überrascht, ihr Haus stürzte über ihnen ein. Am Sonntagmorgen wurden die Eltern und ihre drei Kinder beerdigt.
Kaum medizinische Versorgung in Bergdörfern
Auf einem freien Platz haben sich die Frauen von Tansghart zusammengeschlossen und versuchen aus dem Wenigen, was ihnen geblieben ist, zu kochen. In ihre Häuser zurück gehen sie nur noch, um das Nötigste zu holen. Alle schlafen nachts draußen. Das geht noch, weil es tagsüber heiß und abends angenehm kühl ist.
Wasser und Strom gibt es im Dorf nicht mehr. Die Bewohner haben provisorische Zelte aufgebaut, hier und dort liegen Matratzen, Kissen, Decken. Kleinkinder spielen darauf. "Wir haben alles verloren", erzählt eine Frau. Sie berichtet von kranken Kindern und alten Menschen mit Diabetes, denen das Insulin und die Medikamente fehlen. Für ihre Kinder habe sie nur Milch. Bis jetzt sei kein Arzt ins Dorf gekommen - ein Kind sei bereits gestorben.
"Das Erdbeben zerstörte alles in Sekunden"
Mountasir Itri steht vor den Trümmern seines Hauses. Steinberge, Schutt - grau über grau. Direkt neben dem kleinen, alten Haus seines Vaters - ein Stampflehmbau - hat er gebaut. Drei Stockwerke, der Blick über die grüne Schlucht sollte mal Familie und Freunde erfreuen. "Ich hatte jahrelang den großen Traum, es zu bauen. Seit zehn Jahren baue ich schon dran. Stück für Stück mit der Hilfe meiner Familie", erzählt er. Sie hätten geplant, dort gemeinsam zu wohnen. "Zehn Jahre - und dann kommt das Erdbeben und zerstört das alles in Sekunden und macht uns obdachlos. Nun schlafen wir auf dem Boden."
Mountasirs Familie blieb bei dem Erdbeben unverletzt. Andere habe es viel schlimmer getroffen, sagt er. "Es ist ja nur ein Haus." Er schüttelt den Kopf, bevor ihm die Stimme versagt.
Das Haus des Vaters steht noch. Mountasirs Schwester Ikram öffnet das schwarze Metalltor. Sie bittet in den kleinen Innenhof vor dem Haus des Vaters. Ob wir vor der Abfahrt noch mit ihnen einen Tee trinken wollen, fragt sie uns. Wir sind perplex, lehnen aber nicht ab. Innen hat das Haus riesige Risse. Zwischen den Trümmern bereitet Ikram in einer kleinen Metallkanne Minztee vor. Wir sitzen auf Bastmatten, um uns herum liegen Häuser und Leben in Trümmern.