Ein Eselskarren in Casablanca in Marokko.
reportage

Marokko Casablancas Eselskarren müssen weichen

Stand: 26.12.2023 18:34 Uhr

Die marokkanische Metropole Casablanca putzt sich für die Fußball-WM 2030 heraus und will auch ihr Verkehrsproblem beheben. Eselskarren passen da nicht mehr ins Konzept. Vor allem ärmere Händler bangen nun um ihre Existenz.

Von Kai Küstner, ARD-Studio Nordwestafrika

Ayoub macht aus seiner Verzweiflung kein Geheimnis: Dass die Stadt Casablanca Eselskarren neuerdings von der Straße verbannt, habe seine Lebensgrundlage zerstört, erzählt der junge Mann. Bis vor Kurzem konnte er noch seine Familie auf dem Land unterstützen - nun hat er nicht einmal genug für sich selbst. "Ich melde mich bei meiner Mutter noch nicht einmal mehr, weil ich ihr nichts anbieten kann", sagt er. "Ich selbst esse manchmal einen ganzen Tag nicht, weil ich nicht mehr genug Geld habe. Dann mache ich es so, dass ich einen Tag schlafe und am nächsten esse."

Ayoub

Ayoub muss sich als Tagelöhner auf dem Großmarkt durchschlagen.

Ayoub sitzt mit einer an den Ärmeln zerschlissenen und verstaubten Daunenjacke in einem Café, als er das erzählt. Darüber trägt er gegen die Kälte eine lange Kutte. Sich zum Tee einladen zu lassen, ist ihm zu unangenehm - er lehnt ab. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, lieh sich Ayoub bislang jeden Tag einen Eselskarren aus, um damit Waren oder auch Personen durch die Stadt zu transportieren. Damit ist es seit dem Verbot vorbei.

"Sie haben mir alles genommen"

"Eines Tages haben sie mir meinen Karren mit Gemüse weggenommen. Das war alles, was ich hatte. Sie haben mir alles genommen." Jetzt, sagt Ayoub, muss er sich als Tagelöhner auf dem Großmarkt für Obst und Gemüse in Casablanca durchschlagen.

Auf diesem Markt ist so ziemlich alles gigantisch, nicht nur die Hektik. Zwiebel-, Auberginen-, Paprika-Kisten stapeln sich meterhoch in den Himmel, ganze Lastwagenladungen orange-brauner Kürbisse liegen aus. Hier kauft eher selten die Familie für ihr Abendessen ein - hier deckt sich der Großhandel kilo-, zentner-, tonnenweise mit Ware ein.

Der weitgehend mittellose Ayoub hilft mal hier, mal dort beim Tragen, beim Schleppen, beim Be- und Entladen. Das reiche nicht, um seine Miete zu bezahlen, klagt der Marokkaner. Daher will er künftig irgendwo auf dem Markt übernachten.

Großmarkt in Casablanca

Auf dem Großmarkt in Casablanca kauft der Großhandel seine Waren ein.

Verstopfte Straßen, viele Unfälle - und ein Imagewandel

Während Ayoub kaum eine Zukunft für sich sieht, gehören aus Sicht der Stadt die Eselskarren der Vergangenheit an - sie verstopfen die Straßen. "Es gibt ein Problem mit dem Verkehr. Es gibt ein Problem mit Unfällen", erklärt Moulay Ahmed Afilal, Vizepräsident des Stadtrates. "Wir haben Beschwerden erhalten. Unlängst ist ein alter Mann von einem Karren gefallen, der nicht versichert war."

Das Eselskarren-Gesicht ist auch nicht dasjenige, das die Millionen- und Wirtschaftsmetropole der Welt zeigen möchte - schon gar nicht, wenn die Welt bald nach Casablanca kommt: Marokko richtet den Afrika-Cup 2025, vor allem aber Teile der Fußball-WM 2030 aus: "Casablanca wird für den Afrika-Cup und die Weltmeisterschaft bereit sein. Und das ist sehr wichtig für uns."

Von Tieren gezogene Holzkarren passen einfach nicht in das Konzept der Smart City, der intelligenten Stadt, das Casablanca verfolgt. Schon länger verkehren hier umweltfreundliche Elektro-Busse, die roten Straßenbahnwaggons scheinen auf Schienen eher zu gleiten, als zu rollen.

Doch Männer wie Ayoub sehen das aus einem anderen Blickwinkel: Was hilft die Smart City, wenn sie nicht wissen, wie sie den nächsten Tag überstehen sollen, lautet ihre Frage. Die Behörden hätten ihnen nach dem Esel-Bann keinerlei Ausgleich oder Hilfe angeboten, klagt Ayoub - und schließt mit den Worten: "Das Leben bedeutet für uns Leiden - und irgendwann sterben wir leidend."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 30. Dezember 2023 um 13:50 Uhr.