Fachkräfte aus Marokko Eine Win-win-Situation?
Das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Deutschland ist in Kraft getreten. Eine Chance auch für junge Marokkaner, denen berufliche Perspektiven fehlen. Dabei betont das Land, selbst Nachwuchs zu brauchen.
Das Goethe-Institut in Rabat, Marokkos Hauptstadt. Hier büffeln vor allem junge Marokkaner und Marokannerinnen Deutsch. Ihr Ziel:
"In Deutschland möchte ich meine Fachausbildung machen."
"Als Ärztin möchte ich mich dort weiterbilden."
"Ich möchte eine Ausbildung machen als Krankenpfleger."
In den Straßen der marokkanischen Hauptstadt sieht man seit Jahren Werbung für Deutsch-Sprachkurse. Im Café, im Taxi oder auf dem Markt trifft man häufig junge Leute, die Deutsch verstehen. Deutschland als Zielland ist attraktiv geworden, während sowohl die französische Sprache als auch die Ex-Kolonialmacht Frankreich an Einfluss und Interesse verlieren.
Schwierige Lage für junge Menschen
Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Marokko und fehlende wirtschaftliche Perspektiven seien die Gründe, warum junge Marokkaner von einer Ausbildung, einem Studium oder einem Job in Deutschland träumen, sagt der Soziologe Rachid Touhtou. Er spricht von einem hohen Prozentsatz junger Marokkaner, die arbeitslos seien. "Ich glaube, die Zahl schwankt jetzt offiziell zwischen zehn und zwölf Prozent der jungen Leute zwischen 19 und 25 Jahren, die mit einem Diplom und vielen Fähigkeiten auf der Straße herumhängen", so Touhtou.
Der Experte sieht "einfach keine Möglichkeit zu arbeiten", weil der marokkanische Arbeitsmarkt gesättigt sei. Die Regierung könne nicht mehr als 20.000 Arbeitsplätze pro Jahr schaffen. Und um in den Privatsektor zu gelangen, brauche man viel Vitamin B. "Das führt dazu, dass viele junge Leute aus armen Stadtvierteln oder aus dem ländlichen Raum ihre Städte und Dörfer verlassen und nach Europa auswandern."
Faeser reiste zu Gesprächen nach Marokko
Wenn das irregulär passiert, ist das in Deutschland politisches Thema. Erst Ende Oktober reiste Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach Marokko, zusammen mit Joachim Stamp, dem Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen. Ihr Fokus, so die Ministerin, sei die legale Migration. "Wir haben mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz einen völligen Wechsel in der Migrationspolitik vorgenommen, der über Arbeitsmarktmigration demnächst stattfindet in einer legalen Migration", sagte Faeser. "Und auf der anderen Seite dafür zu sorgen, dass wir viel mehr auch rückführen und abschieben können und dafür haben wir die Grundlagen gelegt."
Heißt konkret: Marokko soll ausreisepflichtige Staatsbürger schneller zurücknehmen. Marokkanische Arbeitskräfte sollen dafür einen privilegierten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt bekommen - zusätzlich Unterstützung mit Sprachkursen, Weiterbildung und eine leichtere Anerkennung von Berufsabschlüssen. Besonders im Blick: der Pflegebereich.
In Marokko wurde in der Vergangenheit immer wieder bemängelt, dass Staatsbürger lange auf Termine im deutschen Konsulat und danach auf ihr Visa warten müssten, wenn sie es überhaupt erhalten. Trotzdem wurde die deutsche Ministerin im Oktober auffallend herzlich von Arbeitsminister Younes Sekkouri begrüßt. Er merkte aber an: Marokko brauche selbst Ärzte und Ingenieure. Gleichzeitig aber auch die Möglichkeit, seinen Jugendlichen im Ausland Jobperspektiven zu bieten, die es vor Ort zurzeit noch nicht ausreichend gibt.
"Migranten pushen unsere Wirtschaft”
Was Sekkouri nicht sagte: Marokkaner, die im Ausland leben, seien für Marokko ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor, erklärt Soziologe Touhtou. Migration sei nicht nur da, um sich selbst zu retten. "Diese Menschen retten ihre ganze Familie. Es ist also eine Familien-Entscheidung. Die jungen Leute übernehmen Verantwortung, schicken Geld an Eltern, ihre Kinder, und helfen ihnen, ein besseres Leben zu führen".
Nach Touhtous Angaben belaufen sich die Überweisungen auf etwa zehn Milliarden Euro, das sei die zweitgrößte Einnahmequelle nach dem Tourismus. "Daran sehen sie, was diese Rücküberweisungen bedeuten", sagt er. "Unsere Migranten auf der ganzen Welt pushen unsere Wirtschaft." Im besten Fall könnte das eine Win-win-Situation für Marokko und Deutschland sein, sagt der Soziologe. Selbst wenn Marokko dadurch dringend benötigte Fachkräfte erst einmal verlieren würde.