Projekt in Brasilien Die Besetzer sind jetzt Bauherren
Jeder Fünfte in Rio lebt in einer Favela - oft mit Drogendealern als Nachbarn. Auch Manuel lebte dort. Um dem Elend zu entkommen, wurde er Hausbesetzer. Bald aber ist er Hausbesitzer.
Wenn Manuel Rodrigues durch das gelbe Tor läuft, kann er manchmal selbst noch nicht glauben, wie sich sein Leben in den vergangenen Jahren verändert hat. Früher war er ein Favela-Bewohner. Die Liste der Armensiedlungen, in denen er - mehr schlecht als recht und auf engem Raum - gelebt hatte, ist lang.
Die Suche nach ungenutztem Wohnraum
Jetzt ist dieses Leben vorbei, denn Manuel lebt nun auf dem grünen Grundstück hinter dem gelben Tor in Rios Vorort Duque de Caxias.
"In den Favelas war es gefährlich und ich konnte nicht so leben, wie ich wollte, weil da Drogenbanden das Sagen haben", erklärt der 65-Jährige. Vor ein paar Jahren kam Manuel in Kontakt mit Wohnraum-Aktivisten, die für würdige Lebensverhältnisse kämpfen. Er schloss sich dem "Movimento Nacional da Luta pela Moradia" (MNLM) an und half mit, ungenutzten Wohnraum zu finden.
In Duque de Caxias fand die Gruppe schließlich ein staatliches Labor, das seit 20 Jahren leer stand. Die Virus-Forschung, die hier einmal stattgefunden hatte, wird schon seit Langem nicht mehr benötigt. Also besetzten die Wohnraum-Aktivisten das marode Gebäude mitsamt des Grundstücks und starteten einen juristischen Prozess, um das ehemalige Labor in sozialen Wohnraum umwandeln zu können.
An vielen Hängen in Rio sind die Siedlungen der Armen zu finden. Etwa jeder fünfte Einwohner der Stadt lebt in einer solchen Favela.
Widerstand von Politik und Spekulanten
In Rio de Janeiro leben circa 22 Prozent der Menschen in engen Favelas. Die Infrastruktur ist vielerorts prekär und die Wände feucht. Vielerorts grassiert Tuberkulose.
Außerdem ist während der Pandemie die Zahl der Obdachlosen gestiegen. Bedarf für würdigen Wohnraum gibt es also genug. Dennoch lehnten Lokalpolitiker das Projekt anfangs rundweg ab.
"Außerdem meldeten plötzlich Immobilienspekulanten Ansprüche auf das Labor-Grundstück an", erinnert sich Noemia Magalhães de Almeida. Die MNLM-Leiterin der Wohnrauminitiative "Projekt Solano Trindade" musste lange mit Anwälten kämpfen und hat viele Tage vor Gericht verbracht, bis ein Richter schließlich ihre Besetzung für legal erklärte.
Dann bedient Noemia den langen Hebel der Ziegel-Maschine, die sie für umgerechnet 750 Euro gekauft haben. Damit produzieren sie 400 Ziegel pro Tag. "Die stellen wir ökologisch her", betont Noemia. Das Gemisch für die Steine besteht aus Erde, Sand und etwas Zement. Die Maschine presst all das zusammen.
Anschließend müssen die Ziegel einen Monat lang trocknen, bevor sie auf dem Bau verwendet werden können. Auch die Klärung der Abwässer haben sie selbst gebaut: Das Filter- und Klärbecken befindet sich unter einer Bananenplantage, die damit bewässert wird.
Wohnung ohne Drogengangs als Nachbarn
Nebenan streicht Manuel die letzten Wände seiner neuen Unterkunft, die fast fertig ist. Zwei Zimmer, Küche und Bad: In wenigen Wochen kann Manuel hier einziehen, in eine Wohnung ohne Drogengangs als Nachbarn.
"Es ist schön geworden und wir werden noch viele weitere solche Wohnungen bauen für weitere Bedürftige", sagt er. Neben seiner Wohnung bauen die Mitglieder der Initiative Apartments für zwölf Familien. Auch Obdachlose sollen einziehen dürfen.
Der Bedarf ist groß: Auf der Warteliste stehen 300 Familien. Eine davon ist die von Isabel da Silva, die überall mit anpackt - und sich über das Projekt freut: "Dass wir Besetzer jetzt Bauherren geworden sind und endlich unseren eigenen Wohnraum schaffen, macht mir eine Gänsehaut, wenn ich daran denke."
Die Pläne der MNLM-Bewegung sind groß. Sie wollen mehr solcher Projekte in ganz Brasilien realisieren.