Deutschland 50 Jahre in der UN Vom Feind zum Sicherheitsratsmitglied?
Vor 50 Jahren wurden die BRD und die DDR zeitgleich in die UN aufgenommen. Mittlerweile ist Deutschland dort so etabliert, dass es einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat fordert. Doch das Ziel bleibt in weiter Ferne.
"Wir haben die Freude, die Bahamas, die BRD und die DDR willkommen zu heißen." So begrüßte Generalsekretär Kurt Waldheim im September 1973 die beiden Deutschlands als UN-Mitgliedstaaten in der Generalversammlung.
"Ein neues Kapitel"
Waldheim betonte die historische Bedeutung dieses Tages, knapp 34 Jahre nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Polen, der den Beginn des Zweiten Weltkriegs markiert und damit auch zur Entstehung der Vereinten Nationen führte: "Mit diesem Beitritt endet zwar ein besonderes Kapitel der Weltgeschichte, aber es wird auch ein neues Kapitel aufgeschlagen, ein Kapitel, in dem sich diese Nationen im Rahmen der Vereinten Nationen für die Belange der gesamten Menschheit einsetzen werden."
Bis zur Wiedervereinigung sitzen zwei deutsche Delegationen in den Sälen der UN. Alleine hätte keiner der beiden deutschen Staaten beitreten können. Die DDR hatte dies im Streben nach internationaler Anerkennung ihrer Souveränität 1966 versucht, war aber im Sicherheitsrat am Veto der Westmächte gescheitert. Einem Aufnahmeantrag der BRD hätte wiederum ein Veto der Sowjetunion entgegen gestanden. Der Ost-West-Konflikt auf offener Bühne, geglättet durch den zeitgleichen Beitritt der beiden Deutschlands am 18. September 1973.
Die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse sagt, Deutschland würde in der UN als "Pfeiler des Multilateralismus" geschätzt.
"Pfeiler des Multilateralismus"
50 Jahre, nachdem der Feind von einst in der Generalversammlung aufgenommen wurde, wertet die deutsche UN-Botschafterin Antje Leendertse diese Jahrzehnte als Erfolgsgeschichte: "Wir haben in den Vereinten Nationen einen Ruf, der sehr gut ist, und wir werden als Pfeiler des Multilateralismus wertgeschätzt." Gerade aufgrund seiner Geschichte setzt Deutschland auf internationale Diplomatie.
Friedensmaßnahmen und Menschenrechte stehen ganz oben auf der Agenda der Deutschen. Das Thema Klima ist ebenso ein Schwerpunkt wie die Rechte von Frauen und Mädchen. Und: Deutschland ist ein mächtiger Beitragszahler der UN. Leendertse unterstreicht aber, es gehe nicht einfach darum, der zweitgrößte Geber zu sein. Vielmehr heiße es, in innovative Ansätze wie etwa die UN-Reform zu investieren.
Erweiterung des Sicherheitsrats
Sie bleibe ein Kernanliegen. Zusammen mit Brasilien, Indien und Japan setzt sich Deutschland dafür ein, dass der oft festgefahrene Sicherheitsrat durch eine Erweiterung an die geopolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts angepasst wird. Das bevölkerungsreiche Land Indien gehöre ebenso dauerhaft dazu wie afrikanische Länder.
Und auch Deutschland selbst will einen ständigen Sitz haben. Viermal saß die Bundesrepublik bereits als rotierendes Mitglied im Sicherheitsrat. Dabei sei das Mitgliedsland zunehmend erwachsener geworden - besonders durch zwei Wegmarken, meint Leendertse.
Schritt in Richtung größerer Eigenständigkeit
Dazu zähle 2003 die Entscheidung über den Irakkrieg. Als es um die Frage ging, ob der Sicherheitsrat ein Mandat für eine US-Intervention erteilen sollte, stellte sich Außenminister Joschka Fischer an der Seite des ständigen Sicherheitsratsmitglieds Frankreich dagegen. Es sei ein Schritt in Richtung größerer Eigenständigkeit gewesen.
"Und wir haben uns damals bei Libyen enthalten, als es um den Sturz Ghaddafis ging", erinnert die deutsche Botschafterin - die erste Frau in dieser Rolle. "Das waren beides Entscheidungen, die wir uns nicht leicht gemacht haben, die wir auf Grundlage unserer Überzeugung getroffen haben." Aber es seien auch Ausnahmen gewesen, weil Deutschland nicht zusammen mit seinen traditionellen Verbündeten gestimmt hatte.
"Nicht von China und Russland ins Bockshorn jagen lassen"
Auch als Mitglied des Sicherheitsrats 2019/20 habe Deutschland einen sehr guten und aktiven Eindruck hinterlassen, sagt Richard Gowan. Der UN-Beobachter von der Denkfabrik Crisis Group meint, dass Deutschlands Bedeutung bei den UN mit der Zeit immer mehr wachse.
Ähnlich äußerte sich auch Christoph Heusgen, damals deutscher UN-Botschafter, vorher Kanzlerinnenberater und heute Chef der Münchner Sicherheitskonferenz. "Ich glaube, dass wir in diesen zwei Jahren, in denen wir im Sicherheitsrat waren, durchaus zu etwas Bewegung geführt haben", erklärte Heusgen 2021. "Was nicht aufhören darf, ist, dass wir, die wir für internationales humanitäres Recht und die Menschenrechte eintreten, diese Themen immer wieder hier auf die Tagesordnung bringen - und dass wir uns da nicht von China und Russland, die dagegenhalten, ins Bockshorn jagen lassen."
"Dem Globalen Süden auf Augenhöhe gegenübertreten"
20 Jahre nach Deutschlands ablehnender Haltung zum Irakkrieg erntete eine grüne Außenministerin Respekt am UN-Hauptsitz in New York. Annalena Baerbock beeindruckte viele mit ihrer ersten Rede vor der Generalversammlung. Sie appellierte, die Welt müsse dem Globalen Süden auf Augenhöhe gegenübertreten:
Einige meiner Kollegen sagen: Jetzt fordert ihr Solidarität für Europa. Aber wo wart Ihr denn in der Vergangenheit für uns? Ich möchte ihnen ganz ehrlich sagen: Wir hören Sie. Und ich glaube wirklich, dass wir immer bereit sein sollten, unser eigenes Handeln in der Vergangenheit kritisch zu hinterfragen. Ich bin dazu bereit.
Nach dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine trägt die deutsche Außenministerin durch ihre Überzeugungsarbeit bei Ländern des Globalen Südens dazu bei, dass die Weltgemeinschaft die russische Aggression mit überwältigender Mehrheit als Verletzung der UN-Charta verurteilt.
Sitz im Sicherheitsrat realistisch?
Bei der Generaldebatte im vergangenen Jahr hatte Bundeskanzler Olaf Scholz die deutsche Bewerbung um einen permanenten Sitz im Sicherheitsrat erneuert. Leendertse sagt, sie höre von vielen Ländern, dass sie dem aufgeschlossen gegenüberstünden. Doch die Verhandlungen über eine Reform kommen seit langem nicht weiter - im Gegenteil.
UN-Beobachter Gowan ist skeptisch. "Ich glaube, tief in ihrem Herzen wissen auch viele deutsche Diplomaten, die sich für diese Reform des Sicherheitsrats einsetzen, dass dieses Ziel niemals erreicht werden wird", sagt er dem ARD-Studio New York. Jede Reform der UN-Charta müsse auch von den ständigen Mitgliedern China und Russland unterstützt werden. Es sei sehr schwer vorstellbar, dass Moskau in dieser unglaublich angespannten Phase in Europa einem ständigen Sitz für Berlin zustimmen würde.
Deutschlands ranghöchster UN-Diplomat, der Chef des Entwicklungsprogramms UNDP, Achim Steiner, ist optimistischer: Er glaubt, es brauche lediglich einen langen Atem.