Dominikanische Republik Zwischen Show-Abschiebungen und offener Grenze
In der Dominikanischen Republik wird heute ein neuer Präsident gewählt. Den Wahlkampf bestritt Amtsinhaber Abinader auf Kosten von Migranten aus dem Nachbarland Haiti. Dabei geht es ohne sie als Arbeitskräfte kaum.
Auf einem Platz im Zentrum von Dajabón schläft ein Junge im Schatten eines Pavillons. Er liegt auf dem nackten Boden, nur den Kopf hat er auf seinen schwarzen Badelatschen abgelegt - sein Kissen für die Nacht. Eine Frau rüttelt ihn wach. Er dreht sich langsam um. Kiki heißt er, er kommt aus der haitianischen Stadt Cap-Haïtien. Geweckt hat ihn Nancy Betances. Sie arbeitet ehrenamtlich für das Netzwerk zum Schutz für Kinder, einem Zusammenschluss von verschiedenen Organisationen in der Dominikanischen Republik.
Kikis rotes T-Shirt und seine Shorts schlabbern über seinem abgemagerten Körper. Das ist alles, was er hat. Er ist allein, komplett auf sich gestellt. Sein Vater sei gestorben, seine Mutter lebe in Haiti, er wisse aber nichts von ihr, berichtet er.
In der Dominikanischen Republik hat Kiki weder Eltern noch ein Dach über dem Kopf - und meistens muss er hungern.
Die Sonne brennt auf die kleine dominikanische Stadt unmittelbar an der Grenze zu Haiti herunter. Dass sich die Lage im Nachbarland weiter zuspitze, merke man auch daran, dass noch mehr Menschen über die Grenze kämen, sagt Betances. Sie hätten nichts zu essen, müssten irgendwie überleben.
Kiki lebt von Tag zu Tag. Er will eigentlich in die Provinz Santiago, um dort zu arbeiten, wo Tabak angebaut wird, und in nicht allzu weiter Entfernung Touristen an weißen Sandstränden in Liegestühlen unter den Palmen liegen und an dem Rum nippen, der ihnen von haitianischen Kellnern serviert wird.
Deportationen zu Wahlkampfzwecken
Wer will, komme über die Grenze, meint Betances. Allerdings ist Wahlkampfzeit. Damit hätten auch die Deportationen zugenommen: "Sie schieben täglich 200 oder 300 ab, aber dann kommen in den folgenden Tagen auch wieder 1.000 bis 2.000 rein. Das ist alles Show."
Am Rande von Dajabón wächst eine graue Grenzmauer mit hohem Zaun zum ungleichen Zwillingsstaat, von Stacheldraht gekrönt. Die Dominikanische Republik und Haiti teilen sich eine Insel - und könnten kaum unterschiedlicher sein. Auf der einen Seite ein prosperierendes Land, das Touristen aus der ganzen Welt anzieht, auf der anderen Seite das Dauerkrisenland, das aus der Spirale der Bandengewalt und der Armut seit Jahren nicht herauskommt, aus dem die Menschen flüchten.
Mit kernigen Sprüchen gegen haitianische Migranten macht der amtierende Präsident Luis Abinader Wahlkampf. Er sei 2020 vor allem mit dem Versprechen angetreten, gegen die Korruption zu kämpfen, erklärt der dominikanische Politologe Daniel Pou. "In den vier Jahren, die er im August vollenden wird, hat er aus seinen eigenen Reihen Beamte entlassen, die durch korrupte Praktiken aufgefallen sind. In früheren Regierungen wurden sie von einem Ort zum anderen versetzt, aber die gleichen korrupten Leute sind in den staatlichen Strukturen geblieben."
Das rechnen ihm die Wähler und Wählerinnen in der Dominikanischen Republik an. Auch, dass die Wirtschaft des Landes seit Jahren stetig wächst - sie weist die höchsten Wachstumsraten Lateinamerikas auf. Seit sich die Lage in Haiti so zugespitzt hat, liegt allerdings bei der Parlaments- und Präsidentschaftswahl das Hauptaugenmerk auf dem Thema Migration.
Auf dem binationalen Markt in der Grenzstadt Dajabón kaufen sowohl Haitianer als auch Einwohner der Dominikanischen Republik ein.
"Mit wem sollen wir verhandeln?"
Ressentiments zu schüren, helfe Abinader beim Stimmenfang, sagt die dominikanische Politologin Rosario Espinal. Gerade eine kleine rechte Elite macht Druck, heißt es. Er habe das Szenario einer Bedrohung durch die Haitianer im Wahlkampf genutzt, um eine breite Unterstützung in der Bevölkerung zu bekommen. Es sei ein Diskurs, den viele Dominikaner unterstützten. "Es gibt einen extremen Nationalismus. Abinader sagt, dass er mit harter Hand gegen die Migration vorgeht, aber die Migration läuft einfach weiter", so die Politologin.
Abinader hat die besten Aussichten, wiedergewählt zu werden. Niemals hätte es eine derart gesicherte Grenze gegeben, sie sei mit der neusten Technologie ausgestattet. "Alle reden davon, dass wir die Migration auf diplomatischem Weg regeln müssen. Aber wie soll das gehen mit einem Land, das keine richtige Regierung hat. Mit wem sollen wir verhandeln? Mit den Kriminellen? Wir haben getan, was wir machen mussten und die Grenze gesichert. Unser Militär ist bereit", wirbt Abinader für seine Politik.
Im vergangenen Jahr mussten fast 500.000 Haitianer in ihr Land zurückkehren, fast die Hälfte ging freiwillig, als angekündigt wurde, dass die Grenze zwischen beiden Ländern komplett geschlossen wird. Weitere 250.000 wurden von den Behörden zurückgeführt.
Korrupte Strukturen an der Grenze
In regelmäßigen Abständen sind Wachtürme und Militärfahrzeuge zu sehen. Sicherheitskräfte dösen in der Hitze oder unterhalten sich mit haitianischen Frauen, die vorbeilaufen. Viele von ihnen haben keine oder abgelaufene Papier, weiß Betances. Eine Abschiebung scheint in diesem Moment trotzdem nicht zu drohen. Ein großes Problem sei die massive Korruption. Die haitianischen Migranten sind ein lukratives Geschäft für Schlepper, die sie in die touristischen Zentren bringen, wo sie billige Arbeitskräfte sind.
Auch Sicherheitskräfte verdienten an den Migranten kräftig mit - zwischen neun und 35 Dollar pro Kopf, erklärt Betances. Korrupte Strukturen, gegen die Abinader nicht vorgehe. Sie hat sich selbst die Migrationsrouten angeschaut und beobachtet, wie sich das Militär bezahlen lässt, um dann die Haitianer durchzuwinken. "Und es gibt wiederum Dominikaner, die die Haitianer zu ihrem Ziel bringen. Sie haben Häuser, ich habe mal eins besucht. Da waren 30 Haitianer untergebracht, darunter auch einige Kinder. Sie haben darauf gewartet, dass sie in verschiedene Städte gebracht werden", berichtet Betances .
Ein Militär kontrolliert Fahrzeige an der Grenze zwischen der Dominikanischen Republik und Haiti. Gegen Schmiergeld sähen die Soldaten nicht so genau hin, sagt eine Aktivistin.
Die Abhängigkeit der Nachbarstaaten
Haitianische Migrantinnen und Migranten arbeiten vor allem auf dem Bau, in der Landwirtschaft, putzen in Privathäusern, arbeiten beim Mechaniker oder beim Bäcker - und das zu geringsten Löhnen. Die beiden Länder sind voneinander abhängig. Haiti ist der drittwichtigste Exportmarkt für die Dominikanische Republik.
Seit Monaten können Haitianer, die eigentlich eine Arbeits- oder Aufenthaltsgenehmigung haben, ihre Papiere jedoch nicht verlängern, neue Visa werden nicht ausgestellt. Dass sich daran etwas entscheidend ändern wird, glaubt die Politologin Rosario Espinal nicht. Die Dominikanische Republik profitiere von den billigen Arbeitskräften, die keine Papiere hätten.
Denn so bleiben sie ohne Rechte und können keine Forderungen stellen. Und Wahlkampf lässt sich auch ganz prima mit ihnen machen.