Kandidat erschossen Wie Ecuadors Wahlkampf in Gewalt versinkt
Gewalt gegen Politiker wie im Fall des Präsidentschaftsbewerbers Villavicencio gab es in Ecuador schon häufiger: Drogenkartelle haben die Strukturen im Land durchsetzt, die Mordrate steigt. Die Regierung hat dem nichts entgegenzusetzen.
Auf einem kurzen Handyvideo ist zu sehen, wie der ecuadorianische Präsidentschaftskandidat Fernando Villavicencio durch eine Menschenmenge geht und in ein Auto steigt, dann fallen Schüsse. Er starb wohl noch im Rettungswagen.
Ein Familienangehöriger, Villavicencias Onkel Galo Valencia, erklärte kurz danach vor der Presse: "Wir haben hier einen Horrorfilm erlebt. Mit Maschinenpistolen wurden 30, 40 Schüsse abgefeuert. Wir sahen Verwundete fallen. Ich weiß, dass es noch andere Getötete gibt, neben dem schmerzlichen Mord an Fernando Villavicencio."
"Politisches Verbrechen mit terroristischen Zügen"
Der brutale Mord fand anderthalb Wochen vor Ecuadors vorgezogenen Präsidentschaftswahlen statt. "Ich bin empört und schockiert", schrieb Präsident Guillermo Lasso sofort danach auf Twitter. Er berief eine Sondersitzung des Sicherheitskabinetts ein und verhängte einen 60-tägigen Ausnahmezustand für das südamerikanische Land. "Von diesem Moment an sind die Streitkräfte im gesamten Staatsgebiet mobilisiert, um die Sicherheit der Bürger, die Ruhe im Land und die freien und demokratischen Wahlen am 20. August zu gewährleisten", verkündete Lasso.
Inzwischen hat die Polizei sechs mutmaßliche Täter festgenommen. Bei den Männern handele es sich um Ausländer, die aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität kämen, sagte Innenminister Juan Zapata. Es seien Pistolen, Granaten, ein Gewehr und eine Maschinenpistole sichergestellt worden. Zapata sprach von einem "politischen Verbrechen mit terroristischen Zügen" und einem "Versuch, die kommenden Wahlen zu sabotieren". Nach Medienberichten sollen die Verdächtigen aus dem Nachbarland Kolumbien kommen. Offiziell bestätigt wurde das zunächst nicht.
Villavicencio wurde von Bande bedroht
Der 59-jährige Villavicencio, Vater von fünf Kindern, bewarb sich als Kandidat der Bewegung "Construye" - auf Deutsch etwa: "Baue" - um das höchste Staatsamt. Er lag den jüngsten Umfragen zufolge auf dem vierten oder fünften Platz. Als Journalist und Abgeordneter hatte er immer wieder die weit verbreitete Korruption in Ecuador kritisiert. Und er hatte Regierungsbeamten Verbindungen zur organisierten Kriminalität vorgeworfen.
Laut Informationen seines Onkels Galo Valencia war Villavicencio erst vergangene Woche von einer Bande bedroht worden, die mit dem Drogenhandel in Verbindung steht. "Dieser Mord! Wir verstehen nicht, wo die Polizei war, wo seine Leibwache war. Was wir wissen, ist, dass Fernando zu einem 96-prozentigem Risiko der Bedrohung ausgesetzt war und in den letzten Tagen noch mehr von dieser kriminellen Gruppe bedroht wurde", sagt er. Er begreife nicht, wo die Polizei gewesen sei, um das Leben Villavicencios und der Anwesenden zu schützen.
Zunahme des Drogenhandels im Land
Das früher als recht stabil geltende Land Ecuador wird seit einigen Jahren von einer Gewaltwelle erschüttert. Zwischen 2020 und 2022 stieg die Mordrate um 245 Prozent an, sie ist heute höher als in Mexiko. Experten sehen eine Verbindung zur Zunahme des Drogenhandels im Land, das zwischen den beiden größten Kokainproduzenten Kolumbien und Peru liegt.
Als Folge des Friedensprozesses in Kolumbien mit der Farc-Guerilla haben zunehmend neue Akteure die Kontrolle über Anbau und Transport übernommen. Sie nutzen die politische Instabilität in Ecuador mit seinen Pazifikhäfen, um Kokain in die USA und nach Europa zu transportieren. Aktiv seien vor allem mexikanische Kartelle, aber auch die albanische Mafia, so Mathew Charles von der Beobachtungsstelle für Organisiertes Verbrechen in Bogota: "Die Mexikaner oder Albaner engagieren lokale Banden, um die Drogentransporte zu organisieren. Dafür zahlen sie gut. Das hat zu Machtkämpfen innerhalb der lokalen Gruppen geführt, Splittergruppen wurden geschaffen, weil die Menschen gesehen haben, wie viel Geld sie durch die Zusammenarbeit mit internationalen Drogenhändlern verdienen können."
Das und die Korruption in Politik und Militär seien Hauptgründe für die brutale Gewalt, der die Regierung nichts entgegenzusetzen habe.
Präsident Guillermo Lasso (Mitte) mit Regierungssekretär Sebastian Corral und Innenminister Henry Cucalon im Mai, nachdem er per Dekret das Parlament aufgelöst hatte.
"Fehlende Legitimität der Regierung"
Zu Beginn des Jahres häuften sich dann auch noch Hinweise, dass Präsident Lasso selbst in einen Skandal verstrickt sei. Der Vorwurf: mutmaßliche Veruntreuung im Zusammenhang mit Öltransportverträgen. Außerdem soll Lassos Schwager laut einer Recherche der Internetzeitung "La Posta" Verbindungen zur albanischen Mafia unterhalten.
Lasso und sein Schwager weisen alle Vorwürfe zurück. Die Vergehen sollen außerdem vor seiner Amtszeit gelegen haben, so Lasso. Das Parlament wollte ihn trotzdem absetzen. Der Amtsenthebung kam Lasso Mitte Mai zuvor, in dem er kurzerhand das Parlament auflöste und Neuwahlen ausrief.
"Die fehlende Legitimität der Regierung hat viel damit zu tun, dass sie den Bürgern keine Antworten liefern kann auf die gravierende Sicherheitslage", bekräftigt auch Renato Rivera, Sicherheitsexperte der Organisation "Beobachtungsstelle für Organisiertes Verbrechen". "Sie verspricht Lösungen, aber die Unsicherheit nimmt zu".
Die Ermordung von Fernando Villavicencio ist nicht die erste politische Gewalttat: Im Juli wurde der Bürgermeister der Hafenstadt Manta ermordet, im Februar ein Bürgermeisterkandidat in der Stadt Puerto Lopez.