Menschen folgen bewaffneten Bandenmitgliedern bei einem Marsch in Port-au-Prince, Haiti.

Gewalt in Haiti Banden kontrollieren vier Fünftel von Port-au-Prince

Stand: 22.09.2024 12:58 Uhr

Haiti kämpft seit Jahren gegen Bandenkriminalität. Trotz einer internationalen Sicherheitsmission bleibt die Situation angespannt. Immerhin wurde inzwischen ein Rat eingesetzt, der die Grundlage für Wahlen schaffen soll.

Von Markus Plate, ARD-Studio Mexiko

Vergangene Woche machte sich der UN-Menschenrechtsexperte William O'Neill in Haiti erneut ein Bild der Lage. Am Freitag hatte O’Neill auf seiner Pressekonferenz wenig Positives zu berichten: "Vor etwa einem Jahr stand ich hier vor Ihnen, um Ihnen eine Einschätzung der Menschenrechtslage in Haiti zu geben. Mit Bedauern habe ich festgestellt, dass alle Indikatoren nach wie vor äußerst besorgniserregend sind, vor allem die Unsicherheit."

Die Bandenkriminalität weitet sich trotz aller Maßnahmen aus. Mindestens 700.000 Menschen wurden ihretwegen laut O'Neill obdachlos. Fast 1.400 Menschen sind von April bis Juli getötet oder verletzt worden. Die Banden kontrollierten heute rund vier Fünftel der Hauptstadt Port-au-Prince.

Die haitianischen Sicherheitskräfte seien bislang trotz der Unterstützung durch die im Oktober 2023 vom UN-Sicherheitsrat beschlossene internationale Sicherheitsmission nicht in der Lage, die Situation zu verbessern. Denn der Nationalpolizei fehle es an logistischen und technischen Kapazitäten. "Die multinationale Polizeimission hat bisher weniger als ein Viertel ihrer geplanten Stärke", so O'Neill. Zudem sei die erhaltene Ausrüstung unzureichend.

Hoffnungen lagen auf neuem Regierungschef

Dennoch sah US-Außenminister Antony Blinken Fortschritte, als er kürzlich Port-au-Prince besuchte. Immerhin hätten die Sicherheitskräfte den internationalen Flughafen von den Banden zurückerobern und wichtige Straßen unter ihre Kontrolle bringen können.

Das für die Versorgung der Menschen so wichtige Universitätskrankenhaus sei zwar "befreit", jedoch wegen der Sicherheitslage nicht in Betrieb. Der neue Regierungschef Garry Conille musste bei einem Besuch Ende Juli sogar die Flucht ergreifen, weil Banden aus umliegenden Vierteln das Krankenhaus beschossen.

Auf Conille hatte vor allem die internationale Gemeinschaft Hoffnung gesetzt, als er am 11. Juli sein Amt antrat. Zu ihm äußerte sich UN-Menschenrechtsexperte William O'Neill Ende der Woche weiterhin vorsichtig optimistisch: "Ich begrüße die Bemühungen des Ministerpräsidenten, den Kampf gegen die Korruption zu einer Priorität zu machen."

Die Korruption durchdringe das System auf allen Ebenen - allen voran in der Justiz, so O'Neill weiter. "Aber die Anstrengungen müssen sofort verdoppelt werden, um gegen Korruption und schlechte Regierungsführung vorzugehen, die das Land weiterhin in eine beispiellose humanitäre Krise stürzen."

Weiter Weg zur Überwindung der Krise in Haiti


Doch ob es Ministerpräsident Conille mit dem Kampf gegen die Korruption tatsächlich ernst meint, ist eine andere Frage: Gerade erst erschütterte ein Korruptionsskandal das Land. Drei der acht Mitglieder des präsidialen Übergangsrats wurden vom Chef der Nationalen Kreditbank der Korruption bezichtigt.

Anstatt die Vorwürfe zur Chefsache zu machen, entließ Conille den gesamten Verwaltungsrat der staatlichen Kreditbank. Vertrauen schafft das nicht. Immerhin: Seit vergangenem Mittwoch steht endlich ein Wahlrat, der die Grundlage für Wahlen bis spätestens 2026 schaffen soll. Seine Mitglieder sollen die wichtigsten Gesellschaftsbereiche repräsentieren, darunter religiöse Gemeinschaften, die Hochschulen, die Presse, Bauernverbände, Gewerkschaften und Menschenrechtler.

Es wären die ersten Wahlen seit dann zehn Jahren. Jahre, in denen 2021 Präsident Jovenel Moïse ermordet wurde und die Banden de facto große Teile des Landes übernahmen. Bis zu einer Überwindung der tiefen Krise in Haiti ist es trotz anlaufender Polizeimission und Wahlen am Horizont noch ein sehr weiter Weg.

Markus Plate, ARD Mexiko-Stadt, tagesschau, 22.09.2024 11:50 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 in den Bayern 2 Nachrichten am 15. September 2024 um 07:00 Uhr.