Jahrestag des US-Afghanistan-Abzugs Ein Debakel für die Biden-Regierung
Heute vor einem Jahr verließen die letzten US-Soldaten Afghanistan. Die Zustimmungsrate von US-Präsident Biden stürzte infolgedessen rapide ab. Und hat sich bis heute nicht erholt - nicht nur wegen seiner Afghanistan-Politik.
Man kann Joe Biden viel vorwerfen. Aber nicht, dass er sein Fähnchen nach dem Wind dreht. Beharrlich betont der US-Präsident wieder und wieder, dass er voll und ganz hinter seiner Entscheidung steht, den Afghanistan-Einsatz beendet zu haben.
Nach 20 Jahren habe er auf die harte Tour gelernt, dass es niemals einen geeigneten Zeitpunkt für einen US-Truppenabzug geben würde. Doch nicht dass er abzog ist seinen Landsleuten nachhaltig unter die Haut gegangen, sondern: wie er abzog.
Eingebrannt ins kollektive Gedächtnis
"Das war ein völliges Desaster monumentalen Ausmaßes", so der republikanische Kongressabgeordnete Michael McCaul: Nie habe er sich eine bedingungslose Kapitulation vor den Taliban vorstellen können.
Zum Jahrestag waren sie wieder auf allen Kanälen zu sehen, die Bilder von den Verzweifelten am Flughafen von Kabul. Sie haben sich eingebrannt in das kollektive Gedächtnis der Amerikaner.
Bidens vermasselter Afghanistan-Abzug sei der erstaunlichste Ausdruck an Inkompetenz, den er je gesehen habe, ätzt Biden-Vorgänger Donald Trump bei jeder Gelegenheit, "die größte nationale Demütigung aller Zeiten".
Erbe der Trump-Regierung
Doch Trumps Stimmungsmache ist in Teilen scheinheilig: Ihm selber konnte der Abzug nicht schnell genug gehen. Die Trump-Regierung hatte im Februar 2020 mit ihrem Doha-Abkommen die Grundlage gelegt: Eine Vereinbarung zwischen den USA und den Taliban, ohne Beteiligung der damaligen afghanischen Regierung.
Bidens Außenminister Anthony Blinken legt Wert darauf, dass es die Trump-Regierung war, die die Radikal-Islamisten hoffähig machte. Als Biden im Januar 2021 ins Amt kam, da erbte er die Trump-Verpflichtung gegenüber den Taliban, bis Mai 2021 abgezogen zu sein.
Untersuchungsbericht steht noch aus
Dennoch: Biden hätte nach der Amtsübernahme zu einer anderen Einschätzung der Sicherheitslage kommen und den Plan ändern können. Der damalige Oberbefehlshaber General Kenneth McKenzie räumt rückblickend Fehler ein: "Wir hätten viel früher mit der Evakuierung beginnen müssen", so General McKenzie in einem NPR-Radiointerview, "und nicht erst ganz zum Schluss!" Der lang angekündigte Untersuchungsbericht der Biden-Regierung zu solcherlei strategischen Fehlern steht noch aus.
Vorerst versuchen Regierungsmitglieder, wie hier der Außenamtssprecher Ned Price, dem Schlussstrich vor einem Jahr einen positiven Spin zu verleihen: "In der Konsequenz können wir uns jetzt auf die neuen globalen Herausforderungen konzentrieren", argumentiert Price, "allen voran auf die russische Aggression in der Ukraine und auf die Spannungen mit China."
Die republikanische Hoffnung, mit dem Thema Afghanistan-Desaster bei den Midterm-Wahlen im November punkten zu können, scheint auch nicht aufzugehen. In aktuellen Umfragen bezeichnen die Amerikaner als wichtigste Wahlkampfthemen: Wirtschaft, Kriminalität, Umwelt und Einwanderung. Terrorismus und Krieg finden sich auf abgeschlagenen Plätzen.