Migrantinnen in Mexiko Endstation Rotlicht-Milieu
Auf dem Weg in die USA stranden viele Frauen in Mexiko. Dort sehen sie oft keinen anderen Ausweg, als als Tänzerin im Nachtklub zu arbeiten oder sich zu prostituieren. Die Behörden schauen weg.
Brittany hat düstere Erinnerungen an ihren ersten Arbeitstag. Brittany - so nennt sie sich für ihre Kunden - trägt ein hautenges gelbes Minikleid, schwarze hochhackige Riemenschuhe. Ihre Lippen hat sie knallrot geschminkt: "Ich hätte mir nie vorgestellt, dass ich mal hier lande. Am Anfang habe ich geweint. Aber ich brauche ja das Geld."
Die Kubanerin arbeitet in einem Nachtklub in Tapachula, einer Stadt an der Grenze zu Guatemala. Während sie von ihrem ersten Tag dort erzählt, räkelt sich auf der Bühne eine Kollegin vor Männern mit lüsternen Blicken. Ihre Familie, sagt Brittany, wisse nichts von all dem. Finanziell laufe es gut, manchmal gehe sie mit 250 Dollar nach Hause.
Sie spart für den Weg in den Norden, sie will in die USA, dort hat sie Familie. Als Kellnerin würde sie nur fünf Dollar am Tag verdienen.
Nachtklubs, in denen Migrantinnen arbeiten boomen in Tapachula, einer Stadt an der Grenze zu Guatemala.
Die Nachtklubs boomen
Brittany hat Kubas Hauptstadt Havanna verlassen, weil sie ihre Familie nicht mehr versorgen konnte, ihr Gehalt reichte noch nicht einmal, um ein Hühnchen und Shampoo zu kaufen, sagt sie. Abgesehen davon seien die Regale in den Läden leer, es gebe einfach nichts.
Früher hat sie als Sekretärin in einer Baufirma gearbeitet. Jetzt verdient Brittany, daran, wenn die Männer trinken, so ist das Geschäftsmodell des Clubs, und einmal am Abend tanzt sie.
Nachtklubs, in denen Migrantinnen arbeiten boomen in Tapachula. Hier würden viele Kubanerinnen arbeiten, erzählt Brittany, einige gingen im Anschluss an ihre Schicht noch mit den Männern nach Hause. Kubanerinnen seien sehr beliebt, weil sie so hübsch sind. Einige erzählten, dass sie Drohungen bekommen, sie mit ihrem unsicheren Aufenthaltsstatus erpresst würden.
Bekannte Rechtfertigungen
Laut der Nichtregierungsorganisation Brigada Callejera leben momentan in Tapachula schätzungsweise etwas mehr als 2000 Frauen davon, als "Drinkbegleiterinnen" wie Brittany zu arbeiten. Wo früher sieben bis zehn Frauen in einer Lokalität gearbeitet hätten, seien es inzwischen 20 bis 25.
Vergleichsweise arbeitet Brittany zu guten Konditionen. Damit rühmt sich auch ihr Chef, der sie zu sich ruft. Seine Hand gleitet an ihrem Arm herunter und verweilt dort. Wenn Männer übergriffig würden, greife das Sicherheitspersonal ein, betont er. Prostitution sei in seinem Club nicht erlaubt, doch was außerhalb passiere, darauf habe er keinen Einfluss.
In Stundenhotels wie diesem in Huixtla endet der Versuch vieler Frauen, der Not in ihrer Heimat zu entkommen.
Leben auf engstem Raum
In einer Straße in Huixtla, etwa eine Autostunde von Tapachula entfernt, reihen sich Bars und Stundenhotels aneinander. Es sind Frauen aus Honduras, Kuba oder Guatemala, die hier Zimmer mieten, um ihre Freier zu empfangen. Die Zimmer sind wie öffentliche Toilettenzellen, eins neben dem anderen, nach oben hin offen. Elisa, wie sie sich gegenüber ihren Freiern nennt, mietet eine dieser Zellen. Hier passt ein Bett rein, ein Ventilator, über einer Stange hängen ein paar Kleider und ein BH.
Die 42-jährige Guatemaltekin ist vor einem Monat nach Mexiko gekommen. Auch sie sei in Geldnot, sagt sie, ihre Mutter schwer krank, die Medikamente teuer, und sie müsse drei Kinder versorgen.
Für das Zimmer bezahle sie fünf Dollar am Tag, so viel, wie ihr Service kostet. Männer zwischen 20 und 70 drücken sich in einem schmalen Gang vor den Türen der Frauen herum, warten, bis ihr Vorgänger rauskommt.
Ein kleiner Raum, ein Bett und ein Ventilator - manche in die Prostitution geratene Geflüchtete verlassen das Stundenhotel kaum.
Der Gewalt schutzlos ausgeliefert
Elisa fühlt sich häufig schutzlos ausgeliefert: "Die Männer, die zu uns kommen, schlagen uns, wenn sie anderen Sex wollen. Sie ziehen sich das Kondom ab. Wir müssen aufpassen, gerade auch wegen Aids, generell wegen Geschlechtskrankheiten. Sie werden wütend und sagen, 'warum willst du es nicht ohne Kondom machen? So gefällt mir das nicht'." Am Ende würden sie manchmal gar nicht bezahlen.
Dort, wo sie arbeitet, schläft Elisa auch. Abends breitet sie dann ihre Decke aus, schaltet das Radio an und verfolgt über ihr Handy in den sozialen Netzwerken, was ihre Kinder und Freunde in Guatemala posten. Ein bisschen Alltag. Ansonsten verlässt sie das Hotel kaum, aus Angst von den Behörden aufgegriffen zu werden.
Der Staat schaut weg
Elisa hat keinen legalen Aufenthaltsstatus. In Mexiko wird sie nicht vom Gesetz geschützt, und Migrantinnen, vor allem wie sie ohne Papiere, sind den Männern schutzlos ausgeliefert.
Und selbst wenn sie Anzeige erstatteten, würden ihre Fälle nicht weiterverfolgt, kritisiert Cristian Gómez Fuentes von der Organisation "Brigada Callejera", einer Organisation, die die Frauen in Gesundheitsfragen berät und über ihre Rechte aufklärt.
Allein die Tatsache, dass sie Prostituierte und Migrantinnen seien, führe dazu, dass ihre Fälle nicht bearbeitet würden. Selbst die Konsulate aus den Herkunftsländern der Frauen fühlten sich nicht verantwortlich. Oftmals werde nicht einmal der Leichnam ermordeter Frauen in die Heimat überführt.
Allein im vergangenen Jahr gab es laut der Beobachtungsstelle in Chiapas zehn Femizide in Tapachula. Die Familien zu Hause erfahren möglicherweise nie, was mit ihren Töchtern, Müttern oder Schwestern passiert ist.
Cristian Gómez Fuentes von der Organisation "Brigada Callejera" und seine Kollegin beraten Frauen wie Elisa, die in der Migration in eine neue Notsituationen geraten sind.
Widerstand kann tödlich enden
Cristian versucht die Frauen zu unterstützen, berät sie auf der Straße zu Krankheiten und versorgt die Frauen auch in den Stundenhotels mit Kondomen. Auch Elena bringt er an diesem Tag eine Schachtel mit 40 Kondomen mit.
Die 45-jährige Mexikanerin ist vor dem organisierten Verbrechen im Bundesstaat Guadalajara geflüchtet, für die sie als Prostituierte arbeitete. Die Hälfte ihres Gehaltes habe sie abgeben müssen. Sie sei permanent überwacht worden und habe sich nicht frei bewegen können.
Auch Elena ist alleinerziehend. Ihre sechs Kinder seien bei ihrer Mutter im Bundesstaat Michoacán. Elena ist ausgebildete Krankenpflegerin, damit aber habe sie ihre Familie nicht versorgen können, nachdem ihr Mann sie von einem Tag auf den anderen sitzengelassen habe.
Sie sei in die Prostitution reingerutscht, sagt sie. Eineinhalb Jahre sei sie vom Kartell festgehalten worden. Erst als es Auseinandersetzungen zwischen zwei Kartellen gab und die Männer, die die Frauen kontrollierten, selbst verfolgt wurden, sei sie geflüchtet: "Im letzten Jahr haben sie sechs meiner Kolleginnen umgebracht, weil sie sich gewehrt haben."
Elena gelang die Flucht aus ihrer Heimat. Obwohl die Bedingungen auch in Huixtla unerträglich erscheinen, für den Moment ist es aus ihrer Sicht eine Verbesserung.