43 verschleppte Studenten Mexikos Suche nach der Wahrheit
Heute vor fünf Jahren gerieten 43 Studenten in die Gewalt der mexikanischen Polizei - und verschwanden. Mexikos neuer Präsident machte die Aufklärung zu Chefsache, wirkt aber verzweifelt. Von Anne-Katrin Mellmann.
Heute vor fünf Jahren gerieten 43 Studenten in die Gewalt der mexikanischen Polizei - und verschwanden. Mexikos neuer Präsident machte die Aufklärung zu Chefsache, wirkt aber verzweifelt.
Eins, zwei, drei - sie zählen durch bis 43. Seit fünf Jahren hallen diese Sprechchöre durch Mexiko und legen den Finger in die Wunde. Selbst für ein Land, in dem mehr als 40.000 Menschen als verschwunden gelten, ist unbegreiflich, wie 43 junge Männer verschleppt werden konnten, ohne dass einer der vielen daran Beteiligten ans Licht bringt, was geschah.
Angehörige glauben an Verschleierung der Wahrheit
Die Eltern der 43 sind überzeugt, dass die Behörden die Wahrheit verschweigen und verschleiern. Eine Wahrheit wurde ihnen ganz kurz nach dem Verschwinden vom damaligen Generalstaatsanwalt präsentiert. Er nannte sie sogar "historisch" und wollte damit schnell die Akte schließen: Die 43 seien von korrupten Polizisten entführt und an Kriminelle übergeben worden. Die hätten sie getötet und auf einer Müllhalde verbrannt.
Bereits mehrmals wurde dieses vermeintliche Ermittlungsergebnis allerdings widerlegt. Mexiko fehlen Wahrheit - und Justicia - Gerechtigkeit. "43 fehlen", prangt seit 2014 mexikoweit auf Brücken, Mauern und Transparenten - und: "Der Staat war es". Der Fall hat hohe Symbolkraft: Er zeigt, wie tief Staat und organisierte Kriminalität verstrickt sind. Dass Polizisten an dem Verbrechen beteiligt waren, ist erwiesen, ebenso, dass sie mit der Verbrecherbande Guerreros Unidos kooperierten.
Die Lehramtsstudenten aus dem abgelegenen Ort Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero hatten in der Stadt Iguala Busse gekapert, um damit zu einer Demonstration in die Hauptstadt zu fahren - ein in Mexiko üblicher Vorgang. Aber die Polizei reagierte völlig unverhältnismäßig: Sie beschoss die Busse, tötete sechs Menschen und ließ die 43 verschwinden. Es gibt Hinweise, dass in einem der Busse eine große Menge Heroin versteckt war, die nach Chicago geschmuggelt werden sollte.
Präsident steht mit leeren Händen da
Heute wird Mexiko von einem Präsidenten geführt, dessen wichtigstes Versprechen der Kampf gegen die Korruption ist. Den Fall der 43 aufzuklären, hatte Andrés Manuel López Obrador schon vor seinem Amtsantritt im Dezember zur Chefsache gemacht. Er richtete eine Wahrheitskommission ein und bezog die zuvor weitgehend ignorierten Eltern eng in die Arbeit mit ein. Sie haben sogar ein eigenes Büro im Innenministerium.
Mexikos Präsident López Obrador hat die Aufklärung zur Chefsache erklärt.
Am 5. Jahrestag des Verbrechens steht López Obrador aber mit leeren Händen vor ihnen. "Ich bitte alle, die Informationen haben, die in dem Fall weiterhelfen können, uns zu unterstützen. Denn das ist eine offene Wunde", sagt er. "Es geht um Gerechtigkeit, um Menschlichkeit und auch um das Prestige Mexikos." Fast verzweifelt wirkt der Präsident. Gegen das skandalöse Justizversagen, gegen ein System, in dem sich Korruption und Straflosigkeit gegenseitig bedingen, konnte auch er bislang nichts ausrichten.
Inhaftierte freigelassen
Ausgerechnet kurz vor dem Jahrestag ordnete ein Richter die Entlassung von verdächtigen Inhaftierten wegen Verfahrensfehlern an. Unter anderem wurden Geständnisse unter Folter erzwungen. 77 von 142 sind bereits auf freiem Fuß, darunter: 24 Polizisten und der mutmaßliche Anführer der Verbrecherbande Guerreros Unidos, einer der Hauptverdächtigen in dem Fall. Die Karikatur einer überregionalen Tageszeitung zeigte daraufhin Justitia, wie sie als erwachsene Frau noch einmal die Schulbank drücken muss.
Die Generalstaatsanwaltschaft will die Ermittlungen nach fünf Jahren bei Null beginnen, obwohl es zahlreiche Spuren gibt, die internationale Ermittler aufgezeigt haben. Entsprechend bitter enttäuscht sind die Angehörigen. Für Eltern wie Hilda und Mario Hernández, ist das Warten eine nicht endende Qual. "Wir kommen nicht zur Ruhe, laufen von einem Ort zum anderen, verbringen schlaflose Nächte. Nur unsere Körper zwingen uns manchmal dazu, zu schlafen", sagt Hilda. Mario ergänzt: "Wir sind weder tot noch am Leben. Mein größter Wunsch wäre, meinen Sohn in den Arm zu nehmen und nach Hause zu holen. Und dann diesen Albtraum zu vergessen."
Angehörige der verschleppten Studenten fordern weiter Aufklärung.