Vermisste Studenten in Mexiko Das lange Warten auf Gerechtigkeit
Vor sieben Jahren verschwanden 43 Lehramtsstudenten in Mexiko. Bis heute ist ihr Schicksal nicht aufgeklärt. Die Hinterbliebenen glauben den Aussagen der Behörden nicht - und kämpfen weiter für Gerechtigkeit.
Es sind die Mütter, Väter, Brüder und Schwestern, Freunde und Freundinnen und Unterstützter, die sich jedes Jahr versammeln. Sie zählen bis 43. Denn 43 Studenten waren es, die in der Nacht des 26. September verschleppt und höchstwahrscheinlich ermordet wurden. Sieben Jahre ist es her, dass Clemente Rodríguez Moreno seinen Sohn Christian Alfonso das letzte Mal gesehen hat. Da war er gerade mal 19 Jahre alt. Auch jetzt sucht er noch nach seinem Sohn, erzählt er am Telefon: "Am Anfang dachten wir noch, dass wir ihn sicher am nächsten Tag schon wiederfinden werden. Jetzt sind Jahre vergangen. Wir vermissen ihn. Wir sind traurig und wütend."
43 Lehramtsstudenten verschwunden
Nach wie vor weiß Rodríguez nicht, was mit seinem Sohn geschehen ist. Das Drogenkartell Guerreros Unidos soll in der Nacht vom 26. September 2014 in Komplizenschaft mit der örtlichen Polizei und dem korrupten Bürgermeister die 43 Lehramtsstudenten der ländlichen Hochschule Ayotzinapa lebend auf einer Müllkippe verbrannt und ihre Reste in einen Fluss geworfen haben. Das wurde der Öffentlichkeit kurz darauf als "historische Wahrheit" präsentiert. Doch diese Version wurde durch Juristen, Ärzte und Psychologen einer internationalen Expertenkommission widerlegt.
Auch Rodríguez hat diese Ermittlungsergebnisse immer angezweifelt. Ein Knochen des rechten Fußes seines Sohnes wurde im Juli vergangenen Jahres gefunden, wie DNA-Proben ergaben, die österreichische Gerichtsmediziner untersucht hatten. Er sagt: "Ich bestehe weiter darauf: Mein Sohn lebt, ich werde ihn weiter suchen. Ein Mensch kann auch ohne seinen Fuß weiterleben."
Regelmäßig gehen Hinterbliebene auf die Straße, um an die Studenten zu erinnern.
Vorwürfe an Regierung
Das Knochenfragment war in einer Schlucht weit weg vom Entführungsort entdeckt worden, genauso wie die Überreste eines weiteren Studenten - Jhosiviani Guerrero. Der Fundort widerspricht den Ermittlungen unter dem damaligen Präsidenten Enrique Peña Nieto. Seiner Regierung wirft Santiago Aguirre vom Menschenrechtszentrum Centro PRODH die Vertuschung der Geschehnisse vor.
Die damalige Regierung habe gelogen, als sie behauptete, die Reste der Studenten seien alle an einem einzigen Ort und dieser Ort sei die Mülldeponie von Cocula. "Und da diese Informationen das Ergebnis der laufenden Ermittlungen sind, ermutigen sie uns zu glauben, dass die Informationen der Wahrheit entsprechen. Und sie sagen, dass die Informanten, die Dokumente, die verschiedenen Informationsquellen glaubwürdig sind und wir vorankommen in Bezug auf den Verbleib der anderen Studenten."
Wahrheitskommission gegründet
Die Nachfolgeregierung unter Präsident Andrés Manuel López Obrador hatte versprochen, die Ermittlungen voranzutreiben. Es wurde eine Wahrheitskommission ins Leben gerufen. Die Justiz hat den Fall neu aufgerollt.
Dennoch gebe es viele offene Fragen, denen auch die aktuelle Regierung nicht nachgeht, erklärt Menschenrechtsaktivist Aguirre. Zwar seien Fortschritte gemacht worden. Es wurde mittlerweile Anklage gegen ein Mitglied des 27. Militärbataillons erhoben, das sehr wahrscheinlich mit dem organisierten Verbrechen verbandelt war. "Doch nach wie vor ist es auch dieser Regierung nicht gelungen, die Dokumentation des Militärs über diese Nacht einzufordern. Dabei ist diese relevant, um den Kontext zu verstehen. Es gibt nach wie vor einen großen Widerstand innerhalb des Militärs, die Geschehnisse aufzuklären."
90.000 Vermisste
Die aktuelle Regierung hat der Armee sehr viel Macht übertragen, in vielen gesellschaftlichen Bereichen. Angesichts dieser Tatsache scheint es eher unwahrscheinlich, dass der mexikanische Präsident Druck ausüben wird. Auch der aktuellen Regierung fehle der Aufklärungswille, so Aguirre. "Es fehlt eine Strategie, um das Thema 'Verschwundene' anzugehen. Das Innenministerium ergreift zwar Maßnahmen, aber es gibt Widerstand in der Staatsanwaltschaft. Allein in der Amtszeit dieser Regierung sind 20.000 Menschen verschwunden." 90.000 Menschen sind es insgesamt, die im ganzen Land vermisst werden.
Für ihre Angehörigen ist die Ungewissheit unerträglich - wie auch für Blanca Nava, die Mutter von Jorge Álvarez. Auch er ist am 26. September vor sieben Jahren verschwunden. Auf einer Protest-Veranstaltung vor der Bundesstaatsanwaltschaft erklärte sie: "Als Mutter will ich mit meinem Sohn lebendig nach Hause gehen, oder wenn er tot ist, dann will ich seine Leiche, nicht nur ein kleines Stück von ihm. Deshalb werden wir weitermachen. Wir machen weiter, bis wir Antworten bekommen und die Wahrheit erfahren."