US-Migrationspolitik Grenzenlose Unsicherheit
In den USA ist in der Nacht eine umstrittene Abschiebepraxis ausgelaufen. Zwar blieb ein befürchtetes noch größeres Chaos an der Grenze zu Mexiko bislang offenbar aus. Doch die Unsicherheit für die zahlreichen Migranten nimmt stetig zu.
Mit großer Ungewissheit bangen Zehntausende Migranten an der südlichen Grenze der USA um ihre Zukunft. Mit der Aufhebung des Corona-Notstandes in den Vereinigten Staaten endete in der Nacht auch eine umstrittene Abschiebepraxis, die in den vergangenen Jahren unter Verweis auf die Pandemie eine schnelle Zurückweisung von Migranten ermöglicht hatte.
Die befürchteten massenhaften Grenzübertritte nach dem Auslaufen der restriktiver Einwanderungsbeschränkungen blieben zwar vorerst aus. Es gebe keinen signifikanten Anstieg der Grenzüberschreitungen von Mexiko in die USA, sagte der Abteilungsleiter im US-Innenministerium Blas Nunez-Neto. Doch ungewisse Lage an der US-Südgrenze wird für viele immer verzweifelter - und sorgte nun auch Kritik von den UN.
Viele der Migranten aus Mittel- und Südamerika hatten sich durch den Wegfall der sogenannten "Title 42"-Regelung bessere Chancen für eine Aufnahme in den USA erhofft, sind aber zunehmend desillusioniert. Denn die US-Regierung hat zahlreiche Maßnahmen erlassen, um dem Andrang an der Grenze entgegenzusteuern.
Offenbar keine größeren Zwischenfälle an der Grenze
US-Heimatschutzminister Alejandro Mayorkas versuchte heute erneut, falsche Erwartungen zu dämpfen. "Die Grenze ist nicht offen", teilte er mit dem Auslaufen der umstrittenen Abschiebepraxis mit. Ab sofort würden Menschen, die an der Grenze ankommen, ohne einen legalen Weg zu nutzen, als zunächst nicht mehr asylberechtigt gelten, erklärte er weiter.
Am Morgen (Ortszeit) sprach die Regierung Mexikos von einer "ruhigen und normalen" Situation, ohne größeren Andrang oder bedeutende Zwischenfälle. "Es gab keine Konfrontationen oder gewalttätige Situationen an der Grenze", sagte Außenminister Marcelo Ebrard.
US-Präsident Joe Biden hatte zuvor gewarnt, die Situation an der Grenze werde noch "für eine Weile chaotisch" bleiben.
Abschiebungen bislang unter Verweis auf Pandemie möglich
Die "Title 42"-Regelung ermöglicht es, Menschen von der Einreise in die USA abzuhalten, wenn durch Einschleppung von Krankheiten eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit besteht. Im März 2020 - unter dem Eindruck der Corona-Pandemie - wurden die Grenzschutzbehörden unter dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump angewiesen, diese Regel anzuwenden.
So wurde unter Verweis auf die Pandemie eine schnelle und unbürokratische Zurückweisung von Migranten möglich - noch bevor diese überhaupt einen Asylantrag stellen konnten. 2,8 Millionen Abschiebungen soll es binnen drei Jahren unter Anwendung der "Title 42"-Regelung gegeben haben.
Eigentlich sollte die Regelung bereits im vergangenen Jahr auslaufen, doch mehrere US-Bundesstaaten, darunter Arizona und Texas, erhoben Einspruch - und bekamen Recht. Erst mit dem Auslaufen des Corona-Notstands endete die umstrittene Abschiebepraxis. Illegale Einreiseversuche werden nun geahndet. Viele Migranten befürchten, dass sie künftig nicht wie bisher nach Mexiko, sondern in ihre Heimatländer abgeschoben werden.
App zur Anmeldung bei Grenzbehörde überlastet
Daneben hat die US-Regierung eine ganze Reihe an Maßnahmen erlassen, um den Andrang an der Grenze zu verringern. Migranten, die in die USA wollen, müssen über eine App einen Termin bei der Grenzbehörde buchen. Doch es werden nur begrenzt Termine freigeschaltet und viele Menschen an der Grenze berichten, die Software sei überlastet. Die US-Regierung hat zudem zusätzliches Personal an die Grenze geschickt. Unter anderem sollen 1500 Soldaten den Behörden in der Grenzregion zunächst für 90 Tage bei administrativen Aufgaben wie Dateneingabe und Lagerunterstützung helfen.
Ende April kündigte die US-Regierung ferner an, unter anderem in Kolumbien und Guatemala Migrationszentren zu eröffnen und die Erstregistrierung von Asylsuchenden dorthin zu verlagern. Man wolle den Menschen auf diese Weise die oft gefährliche Reise zur Grenze der USA "ersparen", hieß es.
Unsicherheit zu den neuen Regeln
Die Zahl der Migranten im Norden Mexikos, die auf eine Einreise in die USA hoffen, beläuft sich US-Medienberichten zufolge derzeit auf 150.000. Weil viele die neuen Regeln schwer einschätzen können, versuchten einige bereits am Donnerstag und in den Tagen davor die Grenze zu überqueren.
In der mexikanischen Grenzstadt Tijuana kamen nach Behördenangaben zuletzt täglich rund 500 bis 700 Migranten an, mehr als doppelt so viele wie zuvor. Hunderte schafften es in den vergangenen Tagen, eine erste Mauer auf US-Boden zu überwinden und warten nun in einem Bereich vor der zweiten Mauer, um sich den Grenzschutzbeamten zu stellen, damit ihre Fälle geprüft werden.
Bidens Asylpolitik zieht UN-Kritik auf sich
UN-Organisationen haben den Umgang von US-Präsident Joe Biden mit Migranten an der Grenze zu Mexiko als völkerrechtswidrig beanstandet. Die neue Regel, nach der keinen Anspruch auf Asyl habe, wer irregulär nach der Durchreise durch ein anderes Land einreist, sei mit den Grundsätzen des internationalen Flüchtlingsrechts nicht vereinbar, erklärten das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die Internationale Organisation für Migration.
UNHCR und IOM mahnten, Hindernisse, die Menschen daran hinderten, ihr Grundrecht auf Asyl in Anspruch zu nehmen, seien inakzeptabel und verstießen gegen internationale Verpflichtungen. Auch Rückführungen abgelehnter Asylbewerber dürften nur nach einem ordnungsgemäßen Verfahren erfolgen. Zwangsrückführungen in Situationen, in denen Leben und Sicherheit der Betreffenden gefährdet sind, seien verboten.
Die UN-Organisationen lobten die von den USA vorangetriebene Ausweitung von Umsiedlungsprogrammen für Flüchtlinge und andere neue Wege legaler Einwanderung. Das entpflichte Staaten aber nicht, Zugang zu ihrem Territorium und zu Asylverfahren zu geben. Im Übrigen würden die meisten Migranten des amerikanischen Doppelkontinents von Ländern in Lateinamerika aufgenommen.