Trump und der "Feind im Inneren" "Meine Hoffnung ruht auf den Gerichten"
John Bellinger weiß, was es bedeutet, in der US-Regierung gegen Rechtsverstöße zu kämpfen - er war unter Präsident George W. Bush Rechtsberater im Weißen Haus. Wie blickt er auf Trumps Ankündigung, gegen die "Feinde im Inneren" vorzugehen?
tagesschau.de: Sie haben vor der Wahl von Donald Trump gewarnt. Wenn Sie sich sein zukünftiges Regierungsteam ansehen: Fühlen Sie sich in Ihren Sorgen bestätigt?
John Bellinger: Trump und die Leute um ihn herum lieben es, ihre Kritiker zu provozieren. Dafür stehen viele Namen im neuen Kabinett. Das ist aber nur ein Nebeneffekt. Das Wichtigste für Donald Trump ist Loyalität und dass die persönliche Chemie stimmt. Unter diesem Gesichtspunkt hat er das neue Team ausgewählt.
"Versteht Musk, wie Behörden funktionieren?"
tagesschau.de: Elon Musk wird die Aufgabe übernehmen, Regierungsbehörden zu verkleinern und zu straffen. Das klingt für viele zunächst gut. Wo sehen Sie das Problem bei dieser Art von Verkleinerung und Straffung?
Bellinger: Bemühungen, den Regierungsapparat zu verschlanken, gab es immer schon. Bei Elon Musk besteht aber die Sorge, ob er überhaupt versteht, wie Behörden funktionieren. Wir können nicht wollen, dass am Ende ein Bauarbeiter als Herzchirurg eingesetzt wird - was sicher keine gute Idee wäre.
Auch Vorschriften und Regulierungen sind zwar auf der einen Seite für kleine Unternehmen lästig. Aber die Auflage, eine Rollstuhlrampe zu bauen, entscheidet zum Beispiel darüber, ob Menschen mit Behinderung einen Arbeitsplatz finden können.
Und das gilt auch im Großen: Republikaner glauben, dass es viel zu viele Vorschriften zu sauberem Wasser, sauberer Luft oder Sicherheitsbestimmungen gibt. Aber sie sind nötig. Zu viel oder zu wenig Regulierung ist immer ein Balanceakt. Ob ausgerechnet Elon Musk dafür der Richtige ist, wird man sehen müssen.
"Trump hat dem Justizministerium den Krieg erklärt"
tagesschau.de: Trump hat das unabhängige Justizsystem wiederholt als einen "Deep State" und als "Feind im Inneren" bezeichnet. Will er diese Behörden nun zu einem Instrument seiner persönlichen Rache machen?
Bellinger: In der Vergangenheit haben die Präsidenten immer die Unabhängigkeit der Justizbehörden beachtet. Trump hat dem Justizministerium und dem FBI dagegen den Krieg erklärt. Er will diese Behörden mit Loyalisten und sogar mit seinen persönlichen Anwälten besetzen, um damit seine persönlichen Feinde zu verfolgen.
Viele Juristen im Justizministerium überlegen nun, die Regierung zu verlassen, wenn sie gegen die persönlichen Feinde des Präsidenten ermitteln und sie verfolgen müssen.
tagesschau.de: Donald Trump will den FBI-Direktor feuern und durch den rechten Verschwörungsideologen Kash Patel ersetzen. Der will die Zentrale der Bundespolizei säubern und in ein "Deep State Museum" verwandeln. Welches Signal sendet die Berufung?
Bellinger: Das ist ein weiterer Beweis dafür, dass Trump persönliche Loyalität über berufliche Erfahrung und Fachwissen stellt und dass er auf Vergeltung gegen das FBI aus ist, weil es gegen ihn ermittelt hat. Auch viele republikanische Senatoren werden Bedenken gegen die Nominierung von Patel haben. Ich wäre überrascht, wenn der Senat ihn bestätigen würde.
Wird der Kongress zu "Cheerleadern"?
tagesschau.de: Wie viel Schaden kann eine Trump-Regierung gerade in den Institutionen anrichten, die für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit besonders wichtig sind?
Bellinger: Ein Präsident, der es darauf anlegt, den demokratischen Rechtsstaat mit seiner Gewaltenteilung auszuhebeln, kann sehr viel Schaden anrichten. Trump versucht jetzt schon, den Senat einzuschüchtern, um sein neues Kabinett ohne die kritischen Anhörungen, die FBI-Checks, durchzubekommen.
Wir werden also sehen müssen, ob der Kongress ein Gegengewicht sein kann oder zu Cheerleadern wird. Meine Hoffnungen ruhen immer noch auf den Gerichten.
tagesschau.de: Gilt das auch für den Obersten Gerichtshof, der doch mit Trump-Getreuen besetzt wurde?
Bellinger: Das ist eine berechtigte Frage. Ich kenne einige der Richter persönlich und habe mit ihnen in der Bush-Regierung zusammengearbeitet. Ich hoffe, dass es selbst bei Richtern, die von Trump berufen worden, Entscheidungen gibt, bei denen sie sagen: "Bis hier hin und nicht weiter!" So, wie das der damalige Vizepräsident Mike Pence am 6. Januar 2021 getan hat, als er sich weigerte, im Kongress die Feststellung der Wahl von Joe Biden zu verhindern.
Wie steht es um die "Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft"?
tagesschau.de: Wo könnten solche "roten Linien" in den kommenden Jahren liegen?
Bellinger: Trump bewundert autoritäre Führer und verhält sich selbst so. Aus der ersten Amtszeit hat er die Lehre gezogen, sich von niemandem mehr in seinem Umfeld ausbremsen zu lassen.
Es gibt einige Bereiche, auf die man ganz besonders achten sollte: Wird Trump das Justizministerium anweisen, persönlich gegen Biden und andere politische Gegner vorzugehen? Wird er gegen die Universitäten vorgehen, die unter vielen seiner Anhänger ja als elitär verhasst sind? Wird er versuchen, die Pressefreiheit einzuschränken?
Und wird er wirklich das Militär einsetzen, um Migranten zu verhaften und sie in Militärgefängnisse zu stecken? All das hat er angekündigt und er wird es möglicherweise versuchen. Bei jedem dieser Themen wird sich erweisen, ob die Widerstandskraft der Zivilgesellschaft, der Medien, aber auch der zuständigen Behörden und der Gerichte hält.
"Wir haben manches korrigieren können"
tagesschau.de: Sie waren von 2001 bis 2009 Rechtsberater von Condoleezza Rice, der damaligen Sicherheitsberaterin und Außenministerin. Das waren die Jahre des "War on Terror" und des Irak-Kriegs. Sie haben in dieser Zeit massive Versuche erlebt, sich über Gesetze der USA und des Völkerrechts hinwegzusetzen, um zum Beispiel Folter zu ermöglichen. Was lässt sich aus ihren Erfahrungen von damals lernen, wenn der Rechtsstaat wieder massiv unter Druck gerät?
Bellinger: Ich habe tatsächlich viele interne Kämpfe innerhalb der Bush-Administration geführt und mich gegen Maßnahmen gewehrt, die nach meiner Überzeugung zu weit gingen. Und letztlich haben wir manches korrigieren können und den Rechtsstaat wieder gefestigt.
Heute bekomme ich viele Anrufe von Menschen, die mit der Frage konfrontiert sind, ob sie in der Trump-Regierung mitarbeiten können. Es werden ja jetzt einige Tausend Positionen neu besetzt werden müssen. Viele gute Leute wollen nicht, dass ihr Ruf beschädigt wird, aber vor allem wollen sie nicht an Entscheidungen mitwirken, die sie für falsch oder sogar illegal halten.
Auf der anderen Seite: Wenn nur noch Trump-Loyalisten in den Behörden arbeiten, wird es gar keinen Widerstand mehr von innen geben. Das sind echte Gewissensfragen, die sich vor allem die Menschen stellen, denen es gerade jetzt um eine gute Regierung und die Verteidigung des Rechtsstaats geht.
Beratungen im Oval Office: John Bellinger (Mitte) rang immer wieder darum, dass die USA bei der Bekämpfung des Terrors die Prinzipien des Rechtstaats beachteten.
"Ermutigung von außen" ist erforderlich
tagesschau.de: Was raten Sie in einem solchen Dilemma?
Bellinger: Für manche wird es das Richtige sein, von außen in der Opposition zu bleiben und sich auf die Aufbauarbeit nach Trump vorzubereiten. Andere werden von innen versuchen, sich gegen eine Politik zu stellen, die dem Land schadet oder unrechtmäßig ist.
Diese Menschen brauchen dafür ganz besonders gute Unterstützung und Ermutigung von außen. Und sie müssen darauf vorbereitet sein, dass es jederzeit den Moment geben kann, wo sie einfach nicht mehr mitmachen dürfen und kündigen müssen.
tagesschau.de: Fühlen Sie sich noch als Republikaner?
Bellinger: Die republikanische Partei besteht nur noch aus der "Make America Great Again"-Bewegung. Langjährige moderate und sogar konservative Reagan-Republikaner wurden herausgedrängt. Viele von ihnen fühlen sich nun politisch heimatlos. Ich selbst sehe mich inzwischen als Unabhängigen.
Das Gespräch führte Arnd Henze, ARD Washington
Anmerkung der Redaktion: Wir haben das Interview nach der Nominierung Patels als FBI-Direktor noch um eine Frage zu diesem Thema erweitert