Bibliothek in Derby Line im US-Bundesstaat Vermont an der Grenze zu Kanada.
weltspiegel

USA und Kanada Wo die Grenze nur ein Klebestreifen ist

Stand: 16.02.2025 13:57 Uhr

Kanada als 51. Bundesstaat der USA? Es gibt Orte, an denen Amerikaner und Kanadier so eng zusammenleben, als gebe es schon jetzt keine Grenze. Und genau deshalb verunsichert die Menschen die Trump-Äußerung.

Die Heizung vibriert in einem lokalen Supermarkt in Newport im Norden Vermonts. Draußen fallen dicke Schneeflocken. Die Winter hier können sehr kalt sein. Bis zur kanadischen Grenze sind es keine 15 Minuten.

"Good Neighbor" heißt eine regionale Biersorte, die im Regal steht. Die Heizung und die abgekühlte politische Beziehung zum Nachbarn Kanada machen Zac Thomas Sorgen.

Er ist einer der Manager des Supermarkts und fürchtet Zölle auf Öl. Denn zu Hause und im Supermarkt heizt Thomas mit Öl - und wenn durch die Zölle der Preis steige, würden auch die Ausgaben steigen.

Im schlimmsten Fall müssten sie ihre Produkte teurer machen, erklärt er. Er versuche schon jetzt, den Kunden zu erklären, was durch einen Handelskonflikt zwischen den USA und Kanada auf sie zukommen könnte.

Die Idee des US-Präsidenten, Kanada zum Bundesstaat zu machen, hält der 30-Jährige für lächerlich. "Wir sollten die Souveränität des anderen Landes anerkennen". Es sei "albern" und "dumm", dass das überhaupt ein Thema sei.

In einem Supermarkt in Newport im US-Bundesstaat Vermont.

Welche Preise kommen auf die Kunden zu, wenn ein Handelskrieg mit Kanada ausbricht? Im Supermarkt in Newport machen sie sich Sorgen.

Auch Holz könnte sich verteuern

Im Café im Nachbarraum sitzt Tim Tierney. Er pflegt im Auftrag des Bundesstaats Vermont Kontakt zu Unternehmen aus dem Ausland. So sollen Investitionen in den Bundesstaat fließen, neue Jobs entstehen. Es sei ihnen gelungen, Unternehmen aus Kanada in die Region zu locken.

Das Nachbarland ist für Vermont der wichtigste Handelspartner. Natürlich sei es gut, dass auf politischer Ebene dafür gesorgt werde, dass es sich für ausländische Unternehmen lohne, Arbeitsplätze in den USA zu schaffen - ein Trump-Versprechen. Der drohende Handelskrieg helfe allerdings nicht.

Ein großes Problem aus seiner Sicht: Holz. Auch wenn Trump behauptete, dass die USA nicht auf Güter aus Mexiko oder Kanada angewiesen seien: Kanadisches Holz gehört zu den Top-10-Importen nach Vermont.

Bezahlbare Häuser für alte Menschen und Arbeitskräfte zu bauen, habe für den Bundesstaat die höchste Priorität, sagt Tierney. Und dafür brauche man viel Holz. Dass das möglicherweise teurer werden könnte, besorge viele, mit denen er spreche.

Verunsicherung bei Unternehmern

Ein Unternehmer, mit dem Tierney im Kontakt steht, ist Denis Larue. Er führt gemeinsam mit seinem Bruder ein Familienunternehmen, das ihr Vater gegründet hat.

Stolz klappt er die gelbe Abdeckung über dem Motor eines nagelneuen Schneepflugs auf. Die Maschine ist ein grenzübergreifendes Gemeinschaftsprojekt.

Am Heck klebt ein Ahornblatt, das Symbol Kanadas. "Das Fahrgestell wird in Kanada hergestellt, der Motor in den USA, ein Teil des Motors wird in Mexiko montiert", erklärt Larue.

Die Firma hat ihren Hauptsitz in Kanada. Der Familienunternehmer hat Kunden in beiden Ländern. Als Trump mit Zöllen drohte, exportierte er zwei seiner Schneepflüge fast fertig in die USA, um Probleme zu vermeiden.

Schneefräsen in Barre im US-Bundesstaat Vermont.

Die Fahrzeuge von Denis Larue sind ein echtes Gemeinschaftsprodukt. Genau das könnte zum Problem werden.

Wo landen die Mehrkosten?

Dass Trumps Handelspolitik im Moment so unvorhersehbar ist, stellt seine Firma vor Probleme: "Wir schließen unsere Verträge ein bis zwei Jahre im Voraus." Sollte es durch Zölle teurer werden, müssten alle Verträge neu aufgerollt werden.

Larue will einige seiner Maschinen in den USA zusammenbauen lassen. So will er vermeiden, dass Bauteile zu oft die Grenze zwischen Kanada und den USA überqueren. Natürlich schaffe das Arbeitsplätze in den USA. Aber seine Maschinen würden so auch ohne Zölle teurer, weil er Doppelstrukturen aufbauen müsse.

Viele seiner US-Kunden seien zum Beispiel Flughafenbetreiber - und damit oft der Staat, sagt Larue. Am Ende zahlten also die Steuerzahler drauf, wenn seine Maschinen teurer werden.

Bibliothek in Derby Line im US-Bundesstaat Vermont an der Grenze zu Kanada.

Die gelb-graue Bibliothek steht mitten auf der Grenze. Aus der Ferne ist schwer zu erkennen, wo die USA enden und Kanada anfängt.

Freundschaften über die Grenze hinweg

Wie eng die beiden Länder miteinander verbunden sind, erleben Touristen im kleinen Ort Derby Line. Dort steht eine mehr als 120 Jahre alte Bibliothek. Ein Klebestreifen mitten auf dem Holzboden markiert die Grenze zwischen den USA und Kanada. Auf und neben der Linie stehen Regale aus Holz, darin Kinderbücher auf Englisch und Französisch.

Die Haskell Free Library and Opera House steht mitten auf der Grenze. Sie ist eine Institution auf beiden Seiten der Grenze und wurde als Treffpunkt für Amerikaner und Kanadier gebaut.

Der Eingang liegt in den USA. Eigentlich müssen sich aus Kanada Ein- und Ausreisende bei der Grenzpolizei melden. Wer nur in die Bibliothek will, nicht. Es gilt eine alte Ausnahmegenehmigung.

Kathy Converse in der Bibliothek in Derby Line im US-Bundesstaat Vermont.

Kathy Converse zeigt Besuchern gerne die grenzüberschreitende Bibliothek in Derby Line. Aber die politische Stimmung, sagt sie, habe sich deutlich verändert.

Im Eingangsbereich stehen kleine Flaggen, die Besucherinnen und Besucher für ein Foto in die Hand nehmen können. Kathy Converse führt Touristen seit 20 Jahren durch das alte Gebäude. "Wir hatten noch nie den politischen Druck, den wir jetzt bekommen", sagt sie.

Das mache sie traurig. Die Bibliothek sei nämlich nicht ausschließlich Touristenattraktion. "Menschen von beiden Seiten der Grenze kommen her. Sie lesen hier, nutzen die Computer. Viele junge Mütter kommen mit ihren kleinen Kindern. Wir können uns hier ohne Einschränkungen bewegen - eine sehr angenehme Atmosphäre", schwärmt die 78-Jährige.

Die kleine amerikanisch-kanadische Gemeinde sei eine Familie. Dass sich die Länder nicht voneinander abschotten, sei wichtig für die Community.

Diskussionen über Zölle, mehr Grenzkontrollen - das besorgt die grauhaarige Dame mit Karo-Schal. All das trenne die Menschen irgendwann auch emotional. Wenn sie daran denke, sei ihr zum Weinen zumute.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD im "Weltspiegel" am 16. Februar 2025 um 18:30 Uhr.