Mexikanische Grenze "Warum dürfen wir keinen Asylantrag stellen?"
An der mexikanischen Grenze zu den USA warten Hunderttausende, in den USA ihren Asylantrag zu stellen. Nun hat ein US-Richter eine Corona-Regelung verlängert, die es erlaubt, Grenzübertritte zu verweigern - ganz zum Frust der Migranten.
Rund 200 Demonstranten haben sich an diesem Tag versammelt. Einige tragen Schilder mit der Aufschrift "Titel 42 diskriminiert Lateinamerika" vor sich her, auf anderen steht geschrieben: "Wir haben kein Covid".
Auch Reyna ist unter den Demonstranten. Die 42-jährige Mexikanerin ist vor einem Jahr mit ihrem Mann und den vier Kindern nach Tijuana geflüchtet. Sie hat an verschiedenen Grenzübergängen versucht, ihren Asylantrag zu stellen. Vergeblich, sie wurden abgewiesen - wegen "Title 42". Obwohl sie einen Nachweis darüber hatten, dass die ganze Familie geimpft ist, inklusive negative Covid-Tests. "Warum erlauben sie uns nicht, unseren Asylantrag zu stellen?" Reyna ist wütend, sie versteht es nicht.
Flucht vor den Kartellen
Die Regelung, die besagt, dass jeder, der in die USA in Corona-Zeiten einwandern möchte, direkt an der Grenze mit Verweis auf den Gesundheitsschutz der US-Bevölkerung abgelehnt werden kann, sei längst hinfällig. Die Mexikanerin stammt aus Michoacán - ein Bundesstaat, der besonders von der Gewalt der rivalisierenden Kartelle betroffen ist. Sie und ihre Familie hätten Drohungen bekommen. Ihr Neffe sei umgebracht worden. Zwei ihrer Söhne wollte das Kartell mitnehmen, damit sie für sie arbeiten, erzählt Reyna.
Viele Nachbarn hätten sich selbst bewaffnet. Ihr Bruder habe sich dem Kartell angeschlossen, weil er keinen anderen Ausweg sah. Reynas Familie ist geflüchtet. Sie haben Unterschlupf in einer Herberge in Tijuana gefunden. Über 80.000 Mexikaner, überwiegend intern Vertriebene, warten derzeit in der Grenzregion. Besonders viele Geflüchtete kamen im April neben Mexiko aus Kuba und der Ukraine.
Sonderregelungen für Menschen aus der Ukraine
Während Migranten aus der Ukraine, die vor dem Krieg flüchteten, von Sonderreglungen profitierten, warten die Menschen aus Mittelamerika, Haiti, Mexiko und Kuba darauf, dass der Titel 42 endlich aufgehoben wird. Fast zwei Millionen Menschen sind seit Beginn der Pandemie wegen dieser Regelung abgewiesen worden. Soraya Vázquez Pesqueira von der Nichtregierungsorganisation "Al Otro Lado" unterstützt sie bei der Vorbereitung ihrer Asylanträge.
Bis vor Kurzem wurden an einem Tag zwischen 500 bis 1000 Menschen aus der Ukraine in den USA aufgenommen und ihre Fälle bearbeitet. Sie können uns nun also nicht mehr sagen, dass sie die Kapazitäten nicht haben. Diese Menschen hier aus unserer Region fliehen vor anderen Formen der Gewalt. Sie haben ein Recht auf die gleiche Behandlung und die gleichen Erleichterungen wie die Menschen aus der Ukraine.
Viele Migranten an der Grenze sind verzweifelt. Von dem kleinen Grenzort Algodones aus versuchen in diesen Tagen täglich Hunderte Migranten, illegal über die Grenze zu kommen.
Viele versuchen verzweifelt illegale Grenzüberquerung
Auch Diego, der seinen eigentlichen Namen nicht nennen will, hat es schon sechs Mal versucht. Der 30-jährige will angesichts der unzähligen angesammelten Anträge nicht auf ein langwieriges Asylverfahren warten. Er glaubt sogar, dass die Abschaffung des Artikels 42 für ihn von Nachteil ist. Wenn die Regelung abgeschafft werde, würde es sicher viele Deportationen geben.
Derzeit sei es so: Er könne die Grenze überqueren. Wenn er geschnappt wird, dann würde er nach Mexiko abgeschoben. Wenn der Artikel 42 aufgehoben wird, dann werden sie viele Menschen in ihre Heimat abschieben, meint Diego.
Er selbst kommt aus El Salvador, ist vor den kriminellen Banden, den Mara Salvatrucha, geflüchtet, die immer mehr Schutzgeld von ihm verlangten. Seine zwei Töchter, zwölf und eineinhalb Jahre alt, hat er vor wenigen Wochen an einen Grenzübergang gebracht. Unbegleitete Kinder werden von den USA aufgenommen. Sie sind mittlerweile bei einer Verwandten in den USA untergekommen, erzählt er. Und auch seine Frau hat es bereits illegal über die Grenze geschafft.
Er selbst hat es vor wenigen Tagen zuletzt versucht. Mit drei weiteren Frauen ist er losgegangen. Es sei unglaublich heiß gewesen, so um die 45 Grad. Eine der Frauen habe ein Baby dabei gehabt. Es fing an zu schreien, weil es die Hitze nicht ausgehalten habe. Da wurden sie vom Grenzschutz geschnappt, berichtet Diego.
Die Ungewissheit bleibt
Auch an diesem Tag macht er sich erneut auf den Weg und scheitert, wie er später in einer Whatsapp-Nachricht berichtet.
Reyna in Tijuana hofft währenddessen weiter auf die Aufhebung von Artikel 42. Die Herberge ist alles andere als sicher. Immer wieder kommt es zu Schießereien vor der Unterkunft, letzte Nacht wurde eine Bewohnerin dabei angeschossen. Reyna hofft trotz allem, dass sie bald einen Asylantrag stellen kann. "Dieser Tag wird ein Fest". Doch wann es so weit ist, bleibt ungewiss.