Präsidentenwahl in Venezuela Die ewige Hoffnung auf einen Wechsel
Mehr als ein Jahrzehnt ist Venezuelas Staatschef Maduro im Amt - und hat das Land heruntergewirtschaftet. Heute findet nach langen Gesprächen mit der Opposition eine Wahl statt. Ist es eine Schicksalswahl?
Vor einer Tankstelle hat sich eine lange Schlange gebildet - Hunderte Meter, das Ende ist nicht absehbar. Heriberto Núñez sitzt in seinem Wagen, wischt sich den Schweiß von der Stirn, 40 Grad zeigt das Thermometer. Seit einer Stunde bewegt er sich im Schneckentempo vorwärts.
Der venezolanische Staatschef Nicolás Maduro wolle die Leute vom Wählen abhalten, er habe Angst die Präsidentenwahlen zu verlieren. So sehen das einige in der Autoschlange. "Mit oder ohne Benzin. Ich kann ohnehin nicht meine Stimme abgeben. Im Wahlregister bin ich als verstorben registriert", sagt Núñez wütend. Er kenne 26 weitere Fälle. Beschwerden helfen da nicht.
Der 54-Jährige lebt in Maracaibo. Einst prosperierte die Hauptstadt des Bundesstaats Zulia mit den größten Erdölvorkommnissen, als das schwarze Gold noch boomte, jetzt ist der Alltag der Menschen vom Mangel geprägt.
Viele wollen einen Wandel
Nie sei ein Wahlsieg der Opposition bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen an diesem Sonntag so wahrscheinlich gewesen, erklärt der venezolanische Politologe John Magdaleno: Es gebe mittlerweile sehr starke Forderungen nach einer politischen Veränderung - sieben bis acht von zehn Venezolanern wollten den Wandel. Die Leute seien müde.
Venezuela erlebte acht Jahre lang eine wirtschaftliche Rezession und hat in der Zeit 75 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts verloren. Vier Jahre Hyperinflation. Der Strom fällt immer wieder aus, sauberes Wasser ist ein Problem. Das Gesundheitssystem ist mangelhaft, so der Politologe.
Maduro bei seiner Wahlkampf-Abschlusskundgebung in Caracas: Ihm wird vorgeworfen, die Opposition im Land zu unterdrücken. Maduros Wahl im Jahr 2018 war von den meisten westlichen Ländern nicht anerkannt worden.
Jeder Vierte hat das Land verlassen
Das Land leidet unter Missmanagement, Korruption, hinzu kommen die internationalen Sanktionen, vor allem der USA, die angesichts der Ankündigung von freien und demokratischen Präsidentschaftswahlen gelockert wurden. Die Menschen verdienen verschwindend gering. Die Einkommensarmut in Venezuela betrifft 85 Prozent der Bevölkerung, sie leben in prekären Verhältnissen.
Das Land mit den größten Erdölvorkommnissen hat Maduro heruntergewirtschaftet. Die wirtschaftliche Situation hat sich im letzten Jahr zwar minimal verbessert, für eine Mehrheit der Menschen jedoch kaum spürbar. Fast acht Millionen Venezolanerinnen und Venezolaner - das ist ein Viertel der Gesamtbevölkerung - haben in den letzten Jahren das Land verlassen, auf der Suche nach Perspektiven.
Der unscheinbare Kandidat liegt vorne
Es war ein ungleicher Wahlkampf. In Caracas lächelt lediglich Maduro siegessicher von den Plakaten herunter, teils im Pop-Art-Stil. Dennoch: Laut diversen Umfragen liegt Edmundo González Urrutia, Präsidentschaftskandidat des bedeutendsten Oppositionsbündnisses (PUD), deutlich vor Maduro. Er wirkt eher klein und unscheinbar. Tatsächlich ist er in die Position eher hineingeschlittert.
Die aussichtsreichste Oppositionskandidatin María Corina Machado, aus dem rechten Lager, die in kürzester Zeit viel Unterstützung in der Bevölkerung gewinnen konnte, hat der venezolanische Staatschef Nicolás Maduro im Vorfeld ausgeschaltet - sie unter fadenscheinigen Gründen für die nächsten 15 Jahre von allen politischen Ämtern ausgeschlossen.
Edmundo Gonzalez Urrutia und Maria Corina Machado bei ihrer Wahlkampf-Abschlusskundgebung in Caracas: Der 74-jährige Ex-Botschafter tritt als Ersatzkandidat an.
Versöhnliche Töne
Auf einer der letzten Wahlkampfveranstaltungen jubeln Edmundo Gónzalez seine Anhänger zu: "Freiheit, Freiheit, Edmundo wird Präsident", skandieren die Leute, die sich an diesem Tag auf einem kleinen Platz in einem Mittelschichtsviertel in Caracas versammelt haben.
Als der Oppositionskandidat das Mikrofon ergreift, zittert seine Hand, er verzieht seinen Mund nach unten, als wäre ihm seine neue Rolle selbst nicht ganz geheuer. Dann fasst er sich: "Unsere Regierung wird für alle da sein. Es ist Zeit, dass die Venezolanerinnen und Venezolaner wieder zusammenfinden."
Er schlägt versöhnliche Töne an. González profitiert von der charismatischen Machado, die kräftig für ihn Kampagne gemacht hat. Im Doppelpack fordern sie das autoritäre Regime heraus, das sich seit elf Jahren an die Macht klammert.
Wider allen Prophezeiungen hat sich der autoritäre Staatschef elf Jahre gehalten, die Demokratie ausgehöhlt. Jetzt steht Maduro unter Druck, scheint nervös zu werden.
Die Nichtregierungsorganisation Foro Penal berichtet von insgesamt 102 Festnahmen im Zusammenhang mit der Oppositionskampagne. Zwölf Restaurants und Hotels mussten schließen, weil sie die Oppositionsführung bedient haben.
Journalisten werden eingeschüchtert, viele haben das Land verlassen. Unabhängige Online-Medien werden immer wieder blockiert. Der EU-Wahlbeobachtermission hat Maduro abgesagt. Von freien und fairen Wahlen kann keine Rede sein.
Maduro warnt vor einem Blutbad
Vor wenigen Tagen warnte Maduro vor einem Blutbad, sollte die Opposition gewinnen. Magdalena, die ihren richtigen Namen nicht nennen will, ist verunsichert. Sie hat Angst, dass die Situation eskaliert.
Ihr reicht das Gehalt, das sie als Staatsangestellte im Ministerium für Transport verdient, auch kaum aus. Sie werde ihr Kreuz bei Maduro machen. Ihr bleibe gar nichts anderes übrig. "Die beobachten genau, was wir tun, die rufen mich an. Geh wählen. Beweg dich."
Maduro würde auch nicht alles schlecht machen, aber auch nicht alles gut. In der Opposition sehe sie auch niemanden, der das Land nach vorne bringen könnte. "Sollten sie wirklich gewinnen, werden sie sicher alle Staatsangestellten entlassen", befürchtet sie. "Aber sie können uns nicht alle in einen Topf werfen. Ich trage keine Verantwortung und entscheide über Ausgaben. Wir alle wissen, dass es die oberen Ränge sind, die korrupt sind."
"Es gibt gerade so viel Hoffnung"
Während die einen von einem Hoffnungsschimmer sprechen, dass mit der anstehenden Wahl das autoritäre Regime abgewählt wird, sind sich andere Beobachter einig: Solange das mächtige Militär hinter Maduro steht, wird er sich - egal mit welchen Mitteln - an der Macht halten. Denn die alte Garde muss befürchten, Privilegien zu verlieren.
Das Militär ist an der verbreiteten Korruption, an Menschenrechtsverletzungen der Chavisten beteiligt und am Ende könnte ihnen eine Verurteilung zu langen Haftstrafen drohen.
Anibal ist trotzdem optimistisch. Er studiert in Caracas. Er und sein Kommilitone hoffen auf einen Wahlsieg der Opposition. "Wir wollen einen Wechsel, hoffentlich gibt es keinen Wahlbetrug, keine Fallen. Es gibt gerade so viel Hoffnung. Dieses Mal könnte es klappen." Sollte Nicolás Maduro gewinnen, will er Venezuela verlassen - wie so viele andere.