Menschenrechte Amnesty wirft Westen Doppelmoral vor
Härte gegen Moskau, Milde bei Freunden: Amnesty International hat den westlichen Ländern Doppelmoral im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Kritik übt die Organisation auch an Deutschland.
Angesichts der Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine hat Amnesty International Doppelmoral angeprangert. Die "entschlossene Reaktion" des Westens auf Russlands Aggression gegen die Ukraine stehe "in scharfem Kontrast zu einem beklagenswerten Mangel an sinnvollen Maßnahmen gegen schwerwiegende Verletzungen durch einige ihrer Verbündeten, darunter Israel, Saudi-Arabien und Ägypten", kritisierte die Menschenrechtsorganisation in ihrem Jahresbericht 2022/23.
Russlands Invasion in der Ukraine sei "ein erschreckendes Beispiel" dafür, was passieren könne, wenn Staaten glaubten, sie könnten internationales Recht missachten und Menschenrechte ohne Konsequenzen verletzen, sagte Amnesty-Generalsekretärin Agnès Callamard.
Die Reaktionen auf die Invasion hätten gezeigt, was getan werden könne, wenn der politische Wille vorhanden sei. Diese Maßnahmen mit harten Sanktionen müssten "eine Blaupause" sein für den Umgang mit anderen Menschenrechtsverletzungen.
"Ohrenbetäubendes Schweigen" im Fall Saudi-Arabien
Doch der Westen messe mit zweierlei Maß, schrieb Amnesty. Dies habe es etwa China, Ägypten und Saudi-Arabien ermöglicht, Kritik an ihrer Menschenrechtsbilanz zu umgehen. Doppelmoral und unangemessene Reaktionen auf Menschenrechtsverletzungen hätten auf der ganzen Welt zu Straflosigkeit und Instabilität geführt.
Konkret nannte Amnesty "ohrenbetäubendes Schweigen" zur Menschenrechtsbilanz Saudi-Arabiens, Untätigkeit gegenüber Ägypten und die Weigerung, den israelischen Umgang gegen die Palästinenser anzuprangern.
Der Generalsekretär von Amnesty International Deutschland, Markus Beeko, sagte, wer die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber anderen Ländern einklage und einfordere, müsse auch vor der eigenen Tür kehren.
Beeko lobte Deutschland für die Aufnahme von mehr als einer Million Menschen aus der Ukraine. Doch ihnen Schutz zu gewähren bedeute auch, die Ressourcen dafür bereitzustellen, dass sie gut untergebracht würden und am gesellschaftlichen Leben teilhaben könnten. Dafür müssten die Kommunen vom Bund dauerhaft unterstützt werden.
"Keine Doppelstandards" im Umgang mit Geflüchteten
Es dürfe zudem "keine Doppelstandards" geben, sagte Beeko: Zwar sei der Umgang vieler EU-Länder mit Menschen aus der Ukraine "positiv zu vermerken". Doch gleichzeitig missachteten sie an Europas Grenzen die Rechte von Flüchtlingen aus anderen Regionen der Welt.
"Die unbürokratische Hilfe für Menschen aus der Ukraine sollte eine Blaupause für den Umgang mit Schutzsuchenden aus allen Teilen der Welt sein", sagte Beeko. Weltweit seien im vergangenen Jahr 103 Millionen Menschen auf der Flucht gewesen. Das seien 20 Millionen mehr als 2021, so viele wie nie zuvor.
Unrechtmäßige Gewalt gegen Protestierende in 85 Ländern
Neben Flucht sei Protest im vergangenen Jahr eine hervorstechende Entwicklung gewesen. Sicherheitsbehörden hätten in 85 der von Amnesty betrachteten 156 Länder unrechtmäßige Gewalt gegen Protestierende eingesetzt. In 35 Ländern seien sie mit tödlichen Waffen vorgegangen, in 33 sei es zu Tötungen gekommen. Zudem seien in 79 Ländern Aktivisten willkürlich festgenommen worden. In 29 Ländern sei das Recht auf friedlichen Protest eingeschränkt worden.
Besorgniserregend sei die Lage vor allem im Iran, sagte Beeko. Seit Beginn der Proteste im September vergangenen Jahres seien etwa 22.000 Menschen verhaftet worden. Viele davon wurden in Gefängnissen misshandelt und gefoltert.
Kritik an Versammlungsgesetzen in Deutschland
Gerade vor dem Hintergrund weltweit zunehmender staatlicher Gewalt gegen Protestbewegungen sei es wichtig, dass die Versammlungsfreiheit auch in Deutschland ein hohes Gut bleibe, mahnte Beeko. Deshalb sehe Amnesty "mit Sorge, dass mehr und mehr Bundesländer repressive Versammlungsgesetze erlassen, die das Recht auf friedlichen Protest einschränken und die Befugnisse der Polizei ausweiten, etwa in Nordrhein-Westfalen, Bayern und zuletzt in Hessen".
Zur Lage der Menschenrechte in Deutschland bemängelt der Bericht unter anderem auch die Zunahme von Hasskriminalität etwa mit antisemitischem Hintergrund. Der Report verweist auch auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach Deutschland Vorwürfe wegen Racial Profiling durch die Polizei nicht ausreichend überprüft und so gegen das Diskriminierungsverbot verstoßen habe. Racial Profiling heißt, dass etwa dunkelhäutige Menschen häufiger oder strenger kontrolliert werden als andere Bürger.
Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 20 Ländern
Erstmals enthält der Bericht auch eine Statistik zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Sie wurden in 20 der 156 untersuchten Länder dokumentiert; darunter auch in der Ukraine. Dort hätten russische Soldaten Männer, Frauen und Kinder erschossen, vergewaltigt, gefoltert oder verschleppt. In Äthiopien oder auch Myanmar übten Regierungstruppen Massentötungen und gezielte Angriffe auf die Bevölkerung aus.