Nach aserbaidschanischem Angriff Armenien bereitet Evakuierung aus Bergkarabach vor
Angst und Not - oder Hilfsgüter, die auf dem Weg sind? Armenier und Aserbaidschaner stellen die Lage in Bergkarabach sehr unterschiedlich dar. Beobachter befürchten Menschenrechtsverstöße durch Aserbaidschan.
Armenien bereitet sich nach eigenen Angaben auf eine mögliche Evakuierung ethnischer Armenierinnen und Armeniern aus dem von Aserbaidschan eroberten Gebiet Bergkarabach vor. Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan sagte, 40.000 Plätze stünden zur Verfügung. Zwar sei es besser, wenn die Karabach-Armenier in ihren Häusern bleiben könnten - möglicherweise werde dies aber unmöglich sein, sagte er bei einer Regierungssitzung.
"Wenn sich die Lage verschlechtert, wird dieses Problem für jeden von uns auf der Tagesordnung stehen", so Paschinjan.
Mit einer Militäraktion am Dienstag und Mittwoch hatte Aserbaidschan die Karabach-Armenier und ihre international nicht anerkannte Republik Arzach, die auf aserbaidschanischem Gebiet liegt, zur Aufgabe gezwungen. Durch den Angriff wurden laut armenischen Medien mindestens 200 Menschen getötet und mehr als 400 verletzt.
Gestern gab es Gespräche über die Eingliederung Bergkarabachs in die staatlichen Strukturen Aserbaidschans, die aber kein Ergebnis brachten. Die Karabach-Armenier - immer noch mehrere Zehntausend Menschen - befürchten, aus ihrer Heimat vertrieben oder im autoritär geführten Aserbaidschan unterdrückt zu werden.
Berichte über Einkesselung der Stadt Stepanakert
Nach Angaben der Karabach-Behörden umzingeln aserbaidschanische Soldaten die Hauptstadt Stepanakert. "Die Situation in Stepanakert ist furchtbar, aserbaidschanische Truppen sind überall rund um die Stadt, sie sind am Stadtrand und die Leute haben Angst, dass aserbaidschanische Soldaten jeden Moment die Stadt betreten und mit dem Töten beginnen könnten", sagte Sprecherin Armine Hayrapetian, die das Informationszentrum von Bergkarabachs De-Facto-Regierung in der armenischen Hauptstadt Eriwan vertritt. "Keine Elektrizität, kein Gas, kein Essen, kein Brennstoff, keine Internet- und Telefonverbindung", beschrieb Hayrapetian die Lage in der Stadt. "Die Leute verstecken sich in Kellern."
Aserbaidschan hingegen stellt die Lage anders dar: Man habe mit der Lieferung humanitärer Güter in die Region begonnen. Vier Lastwagen mit je 20 Tonnen Lebensmitteln, Hygieneprodukten und Brot seien unterwegs, teilte das Katastrophenschutzministerium mit.
Menschenrechtsverstöße befürchtet
Internationale Beobachter wie die Armenien-Expertin Tessa Hofmann befürchten Menschenrechtsverstöße durch Aserbaidschan. "Schon beim ersten Angriff auf die Republik Arzach vor drei Jahren hatten Politiker erklärt, man müsse die Armenier wie Hunde aus Bergkarabach verjagen", sagte die Armenien-Koordinatorin der Gesellschaft für bedrohte Völker. "Diese entmenschlichende Sprache verheißt nichts Gutes und lässt ethnische Säuberungen befürchten."
Internationale Beobachtermission gefordert
Die Linkspartei forderte eine internationale Beobachtermission in Bergkarabach. "Es ist keine Zeit mehr, tatenlos zuzusehen", erklärten die Parteivorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan. "Die internationale Gemeinschaft kann die armenische Bevölkerung nur vor weiterem Leid schützen, wenn sie jetzt handelt." Die Region brauche Sicherheit und Stabilität. Medien und Nichtregierungsorganisationen müssten vor Ort sein, um die Situation aus erster Hand zu dokumentieren und zu berichten. Um eine Beobachtungsmission zu organisieren, stehen den Linken-Chefs zufolge nun die Vereinten Nationen in der Pflicht.