Ägyptens Präsident al-Sisi Zehn Jahre uneingeschränkte Herrschaft
Präsident al-Sisi steht für die gescheiterte Hoffnung auf eine demokratische Zukunft Ägyptens. Vor zehn Jahren putschte er gegen die frei gewählte Regierung - und baute danach seine Herrschaft immer rücksichtloser aus.
Mohammed Mustafa hat viel zu erzählen. Dennoch spricht er langsam, macht immer wieder Pausen, denkt nach. Für das Interview hat der junge Ägypter die Wohnung seines Freundes vorgeschlagen - aus Sicherheitsgründen. Sein richtiger Name lautet anders, aber den möchte er nicht preisgeben.
Oppositionelle gelten als Verbrecher
Er zählt sich zur Opposition und will nicht erkannt werden. Denn wer gegen das Regime ist, gelte als Verbrecher. Die Anführer der Muslimbrüder und der Ultras seien alle in Haft. "Auch viele Linke und Oppositionelle verschiedenster Bewegungen sind in den Gefängnissen von Sisi", sagt er.
Zu vielen Freunden und Bekannten habe er den Kontakt verloren, erzählt Mohammed Mustafa. Nicht, weil sie ihm egal wären. Sondern weil sie verschwunden seien. Er vermutet, dass auch sie hinter Gittern sitzen, ohne Urteil oder fairen Prozess. So wie es auch ihm selbst ergangen war. Sechs Monate verbrachte er im Gefängnis, kurz nachdem in Ägypten das Militär die Macht übernommen hatte.
Von Mubarak über Mursi zu al-Sisi
Ende Juni 2013 demonstrierten Zehntausende Menschen auf dem Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo - wie schon im Januar 2011 beim Sturz von Langzeitherrscher Hosni Mubarak. Sie waren enttäuscht von ihrem Präsidenten Mohammed Mursi, den sie ein Jahr zuvor zu ihrem Staatsoberhaupt gewählt hatten.
Viele Ägypterinnen und Ägypter waren mit der Politik des ehemaligen Muslimbruders unzufrieden, der seine politischen Gegner ausgrenzte, keinen demokratischen Wandel ermöglichte und auch der Wirtschaft nicht auf die Sprünge half.
Das Militär und die Staatsapparate erkannten die Gunst der Stunde. Am 3. Juli 2013 setzte der Oberbefehlshaber der ägyptischen Streitkräfte, Abdel Fattah al-Sisi, Mursi ab und erklärte öffentlich: "Die Streitkräfte haben aufgrund ihrer einsichtigen Vision gespürt, dass das ägyptische Volk, das sie zu seiner Unterstützung aufruft, sie nicht dazu aufruft, die Macht oder die Herrschaft zu übernehmen, sondern dazu, sich in den Dienst der Öffentlichkeit zu stellen und die Forderungen der Revolution zu schützen."
Um jeden Preis an der Macht bleiben
Viele Ägypter reagierten erleichtert. Sie hofften, dass das Militär dem Volk zur Seite stehen und seine Forderungen ernst nehmen würde. Der Essayist und Politikwissenschaftler Ammar Ali Hassan aus Kairo erinnert sich: "Ein großer Teil des Volkes glaubte, was der damalige Verteidigungsminister al-Sisi sagte: dass die Armee nicht nach der Macht strebt, dass sie das Land beschützen und die Macht wieder an die Zivilbevölkerung zurückgeben wird."
Doch genau das passierte nicht. Knapp ein Jahr später wurde Abdel Fattah al-Sisi als neuer Präsident vereidigt, nach einer Wahl, die demokratischen Mindeststandards nicht genügte.
Schon bald wurde offensichtlich, dass sich al-Sisi nicht am Willen des Volkes orientierte, sondern dass er vor allem das Ziel verfolgte, um jeden Preis an der Macht zu bleiben. Dafür ließ er 2019 sogar die Verfassung ändern: Demnach könnte er bis 2030 Präsident bleiben und das Schicksal Ägyptens bestimmen.
"Niemand in Ägypten fühlt sich sicher"
"Der heutige Regierungsstil in Ägypten erinnert an den mittelalterlichen Herrschaftsstil in Europa: also die Vorstellung von gottgegebenen Rechten für die Könige und eine ungezügelte Herrscherhand, die mit Blick auf den öffentlichen Besitz macht, was sie will", sagt der Oppositionelle Mohammed Mustafa. Die Forderungen des Volkes, das Mubarak gestürzt und Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit verlangt hatte, sind längst verhallt.
Offen die eigene Meinung zu sagen, trauten sich nur noch sehr wenige in Ägypten, sagt der Oppositionelle Mohammed Mustafa. "Ich glaube, niemand in Ägypten fühlt sich sicher, niemand, der gegen die Regierung ist", sagt er weiter. "In diesem Land gibt es keinen Raum für andere Sichtweisen. Selbst wenn man früher gegen die Mächtigen war und heute gar keine Meinung mehr hat, befindet man sich immer noch in der Gefahrenzone."
Unter der Herrschaft von Abdel Fattah al-Sisi ist die Zahl der politischen Gefangenen in Ägypten drastisch gestiegen. Menschenrechtsorganisationen sprechen von mehreren Zehntausend Menschen, die ohne fairen Prozess verurteilt wurden oder Monate, wenn nicht gar Jahre lang, in Untersuchungshaft sitzen. Die Pressefreiheit ist stark eingeschränkt: Auf der Liste von Reporter ohne Grenzen rangiert Ägypten auf Platz 166 von 180 Ländern - hinter Russland und Afghanistan.
Schwere Wirtschaftskrise
Die meisten Ägypter leiden unter der schweren Wirtschaftskrise. Viele wissen kaum noch, wie sie ihre Familien ernähren sollen. Das ägyptische Pfund hat allein im vergangenen Jahr fast die Hälfte seines Wertes verloren, doch die Gehälter sind nicht gestiegen. Und der Privatsektor hat einen starken Konkurrenten: die ägyptische Armee.
Sie dominiere viele Wirtschaftszweige, sagt Politikwissenschaftler Ammar Ali Hassan: "Es gibt keine Regeln für einen fairen Wettbewerb. Die Armee zahlt keine Steuern oder Zoll oder Gehälter für die arbeitenden Rekruten. Und die Armee erhält das Land, auf dem sie Projekte und Anlagen entwickelt, kostenlos. Der Privatsektor sagt: Mit einem Akteur, die so viele Privilegien hat, können wir nicht konkurrieren."
Hoffnung geschwunden
Armut, Unterdrückung, soziale Ungleichheit - dafür waren die Ägypter 2011 nicht auf die Straße gegangen. Nach dem Sturz von Mubarak und den ersten freien Wahlen in Ägypten schien alles möglich zu sein: eine wirtschaftliche Öffnung, Meinungsfreiheit, eine liberale Demokratie.
Doch spätestens mit der Machtübernahme des Militärs vor zehn Jahren sei die Hoffnung vieler Ägypter auf eine bessere Zukunft geschwunden, sagt Ammar Ali Hassan: "Die Revolution von 2011 wollte Ägypten in eine Demokratie verwandeln. Doch nach dem 3. Juli 2013 wurde es wieder eine Diktatur."