Wirtschaftskrise in Ägypten Kein Opfertier für das Opferfest
Ein Schaf schlachten und das Fleisch mit Familie und Bedürftigen teilen - das gehört für viele Muslime zum Opferfest dazu. Doch wegen steigender Preise können sich immer mehr Menschen in Ägypten die Tiere dafür nicht mehr leisten.
Der Muezzin der Hadaik-Il-Soleimania-Moschee im Westen von Kairo ruft zum Abendgebet. Es ist heiß und schwül, obwohl die Sonne schon untergeht. Im Schatten einer Palme haben sich einige Männer versammelt - auch Mostafa Aid Kamel. Der 30-Jährige ist Vorbeter in der Moschee.
"Unser Herr, der Allmächtige, hat unseren Herrn Ismail erlöst. Dies war der Beginn des rituellen Opfers. Prophet Mohammed opferte zwei gehörnte Schafböcke. Wir ahmen die Tradition des Propheten nach, Friede und Segen seien mit ihm."
Ein Schaf, ein Rind oder ein Kamel
Wer es sich leisten kann, sollte zum Fest Eid al-Adha ein Schaf, ein Rind oder ein Kamel opfern, sagt Mostafa Aid Kamel. Er hat Islamisches Recht an der berühmten Al-Azhar-Universität studiert und kennt sich mit dem religiösen Ritual aus: "Der Opfernde teilt sein Schlachttier in drei Teile auf. Einen für sich selbst, einen für seine Verwandten und einen für die Armen und Bedürftigen. Diese Teile sollten gleich groß sein", erklärt er.
Er selbst werde in diesem Jahr allerdings kein Tier opfern, sagt Mostafa Aid Kamel. Der zweifache Familienvater stammt aus der Provinz Fayoum, etwa 100 Kilometer südwestlich von Kairo. "Die wirtschaftliche Situation", sagt er und stockt. Dann setzt er neu an: "Vielleicht spreche ich lieber über mich selbst. Wegen meiner wirtschaftlichen Situation kann ich es mir in diesem Jahr nicht erlauben."
Auch Ashraf Mostafa wird dieses Jahr auf ein Opfertier verzichten. Der 60-jährige Rentner aus Kairo hat früher in der Werbeabteilung einer großen staatlichen Zeitung gearbeitet. "Die Preise für die Opfertiere sind gestiegen, aber mein Einkommen ist gleich geblieben - eigentlich sogar weniger geworden, weil ich jetzt in Rente bin. Ich kann mir keine Opfergaben mehr leisten", beklagt er.
Wirtschaftskrise in Ägypten
So wie Ashraf Mustafa und Mostafa Aid Kamel geht es vielen Menschen in Ägypten. Der Staat ist hoch verschuldet, das ägyptische Pfund hat allein im vergangenen Jahr fast die Hälfte an Wert verloren - die Preise steigen von Woche zu Woche. Das Land steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Viele Ägypterinnen und Ägypter wissen kaum noch, wie sie ihre Familie ernähren sollen. Es sind längst nicht mehr nur die Armen, die unter den hohen Preisen leiden.
"Die Mittelschicht in Ägypten bricht zusammen und die Armut wird immer größer. Die Zahl der Armen und derjenigen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, beträgt beinahe zwei Drittel der ägyptischen Bevölkerung - und das ist ein sehr großer Prozentsatz", sagt der ägyptische Politikwissenschaftler Ammar Ali Hassan im Interview mit dem ARD-Studio Kairo.
Der Besitz werde falsch verteilt. Sehr viel Geld werde für Infrastruktur ausgegeben - wobei es oft nur darum gehe, damit anzugeben, so Hassan. "Und das investierte Geld oder das geliehene Geld von internationalen Organisationen oder arabischen Staaten wird nicht in produktive Projekte gesteckt", meint der Politikwissenschaftler. Das sei der Grund für die Krise, in der sich die Bevölkerung derzeit befindet.
Menschen verzichten auf Opferritual
Szenenwechsel: Ahmed Hosni Ibrahim teilt das Fleisch eines Kalbes in grobe Stücke. Der Schlachter ist allein in seinem Laden - kein Kunde in Sicht. Die Preise für Fleisch würden von Tag zu Tag steigen, sagt er.
"Mit 50.000 Pfund (rund 1400 Euro) habe ich früher Fleisch für meine Familie gekauft, verteilt, geopfert und so weiter. Diese 50.000 Pfund waren mehr als ausreichend. Heute sind sie das nicht einmal mehr ansatzweise. Es reicht kaum noch für einen Ochsen, meist nicht einmal mehr für das Schlachten", sagt Ibrahim.
Viele Menschen in Ägypten verzichten deshalb auf das religiöse Ritual oder beschränken sich auf das, was sie sich noch leisten können. So wie Wafaa Bazina. Die Frau Ende 50 gehört zur Mittelschicht - doch Fleisch gibt es bei ihr nur noch ganz selten, weil es so teuer ist. "Dieses Jahr feiern wir das Opferfest sehr bescheiden. Wir haben nur ganz wenig Fleisch für einen Tag oder zwei gekauft - mehr nicht."