KP-Parteitag Wie aus China Xina wird
Der Personenkult um Chinas Staatschef Xi ist allumfassend, auf dem Parteitag könnte er die KP auf völlige Ergebenheit einschwören. Zunehmend bestimme Ideologie auch die Politik, warnen Kritiker - das sei eine weltweite Gefahr.
Es war ein Himmelfahrtskommando, aber offenbar war die Verzweiflung groß genug dafür: Vergangenen Donnerstag befestigten Unbekannte an einer Hochstraße im belebten Peking riesige Protest-Schilder. "Streikt und entfernt den Diktator und nationalen Verräter Xi Jinping!", stand auf den Bannern. Fotos und Videos davon machten rasend schnell die Runde. Aber schon wenige Stunden später war nichts mehr davon im streng zensierten chinesischen Internet zu finden.
Schon der Hashtag "Peking" oder der Bezirksname des Vorfalls, "Haidian", wurden auf der beliebten Plattform Weibo gesperrt. Ein Lied mit dem Namen "Sitong-Brücke", dem Namen des Abschnitts der Hochstraße, auf dem sich der Vorfall ereignet haben soll, wurde von Online-Musikdiensten entfernt.
Protestbanner wie das an der Sitong-Brücke angebrachte sind in Peking kaum noch zu sehen.
Nur auf Twitter und YouTube sind noch Fotos und Videos der Protestaktion zu finden. Dort schrieben auch einige Chinesen, dass ihr Konto bei WeChat gesperrt wurde, weil sie Fotos der Demonstration geteilt hatten. WeChat ist die wichtigste Kommunikations-App, die auch zum Bezahlen und für die ständigen PCR-Tests im Land notwendig ist. Ein Bürger ohne WeChat kommt in China kaum durch den Alltag.
Umfassender Führerkult um Xi
Wer die Protestbanner aufgehängt hat, wird kaum lange unentdeckt bleiben: Jeder Winkel Pekings ist videoüberwacht, Chinas Städte haben nach Schätzungen der Analysefirma Comparitech eine Kamera pro drei Einwohner. Die zu erwartende Strafe dürfte enorm sein.
Denn der Zeitpunkt der Protestaktion kommt dem Ein-Parteien-Staat sehr ungelegen: Heute beginnt der alle fünf Jahre stattfindende Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas - das wichtigste Ereignis der politischen Agenda, denn gemäß der Verfassung hat die Partei mehr Macht als die Regierung.
Auf dem Parteitag geht es um Personal und die politische Agenda für die nächsten fünf Jahre. Xi Jinping will sich für weitere fünf Jahre als Generalsekretär bestätigen lassen. Den seit Jahrzehnten geltenden Nachfolgemechanismus an der KP-Spitze will er aushebeln.
Schon jetzt konzentriert er so viel Macht auf sich wie kein chinesischer Führer seit Mao. Er ist Staats-, Partei, und Militärchef. Schon Schulkinder müssen seine Texte lesen. Seine Gedanken zu China haben Verfassungsrang. Die Bilder im Fernsehen zeigen: Führerkult pur.
Chinas Wirtschaft schwächelt
Doch Xis Position wird schwieriger: International bekommt China zunehmend Gegenwind, und im Land sinkt das Wirtschaftswachstum. Unter Jugendlichen erreicht die Arbeitslosigkeit Rekordzahlen, viele Wanderarbeiter müssen am Essen sparen, eine Immobilienkrise erschüttert das Land.
"Die Leute werden vorsichtiger, der Konsum ist relativ mau, es gibt sogar ein Abflachen in einigen Bereichen", erklärt Jörg Wuttke. Er lebt seit vier Jahrzehnten in China, derzeit ist er Präsident der Europäischen Handelskammer. Mehr als 30 Jahre habe der Optimismus der Chinesen die Wirtschaft angetrieben, meint Wuttke. "Es gab immer den Glauben: Morgen wird besser sein als gestern. Ich glaube aber, dass dieser Glaube gerade schwindet."
Chinas Wachstum brachte der chinesischen Führung ihre Legitimation. Viele beschreiben es als einen Sozialvertrag zwischen Staat und Gesellschaft: Euch geht es stetig besser, dafür beschneiden wir eure Freiheitsrechte. Doch wie kann sich die Partei ihren Rückhalt sichern, wenn die Wirtschaft schwächelt?
Der Schriftsteller Murong Xuecun hat China vor der Veröffentlichung seines jüngsten Werks verlassen - aus Angst vor Repressionen.
Ideologische statt pragmatische Politik
Der politische Schriftsteller Murong Xuecun meint, Xi habe sich ohnehin von dem Diskurs über "Reform und Öffnung" verabschiedet. Chinas Wirtschaft kopple sich immer mehr von den Prinzipien des freien Marktes ab. "Xi Jinping ist dazu übergegangen, nationalistische Diskurse wie 'nationales Wiedererstarken' zu verwenden," sagt Murong. Vor der Veröffentlichung seines neuesten Buches hat er China aus Angst vor Repressionen verlassen.
"Lange Zeit war wirtschaftliches Wachstum die staatliche Maxime, doch neuerdings siegt Ideologie", beschreibt es Handelskammer-Präsident Wuttke. Die Null-Covid-Politik etwa sei ideologisch motiviert. Ausländische mRNA-Impfstoffe werden in China nicht zugelassen. Während die Welt sich nach der Pandemie öffnet, sind Chinas Grenzen weiter dicht - auch wenn es zulasten der Wirtschaft geht. Das Land schottet sich ab, das Ausland wird dämonisiert.
Murong glaubt dennoch nicht, dass Xi sich ausschließlich auf Nationalismus stützen will. "Ich denke, seine Macht basiert jetzt vor allem auf der Kontrolle von Menschen und darauf, ihnen Angst zu machen."
"Schwierig für Xi, auf andere zu hören"
Viele Experten gehen davon aus, dass Xi auf dem Parteitag weitere loyale Gefolgsleute um sich scharen wird. Während lange Zeit verschiedene Meinungen an der Parteispitze als "kollektive Führung" geduldet wurden, könnte damit nun Schluss sein. "Ich denke, Xi ist wie Mao in seinem Alter oder wie andere Diktatoren, wie Kim Jong Un und Putin. Es ist schwierig für ihn, auf andere zu hören", meint Murong.
Genau darin liegt die Gefahr. Es fehle der Zugang zur Realität und Argumenten, meint Murong: "Alle Leute um ihn herum werden nur das sagen, was er hören will. Wenn Xi einen Krieg starten will, werden alle um ihn herum nur Gründe anführen, warum er einen Krieg gewinnen wird."
Ein stärkerer Xi berge damit Gefahren für die gesamte Welt, meint der Publizist. Der Parteitag habe daher im schlimmsten Fall auch Auswirkungen bis nach Europa.
Diese und weitere Reportagen sehen Sie am Sonntag, 16.10.2022 um 18.30 Uhr im "Weltspiegel".