Mount Everest Mit dem Virus im Basislager
Bis zu 2000 Menschen warten im Basislager darauf, den Mount Everest besteigen zu können. Doch selbst in 5300 Metern Höhe grassiert das Coronavirus. Nepals Regierung aber gibt sich ahnungslos.
Ein Rettungshubschrauber, der noch einmal das Everest-Basislager überfliegt, zahllose, meist gelbe Zelte, kleine und große, in 5300 Metern Höhe. Erlend Ness filmt mit seinem Smartphone aus dem Helikopter, der ihn zurückbringt nach Kathmandu.
Beim Aufstieg von Lukla ins Everest-Basislager habe er sich mit Covid-19 infiziert, berichtet er später. Als die ersten Symptome auftraten, seien es noch ein paar Tageswanderungen bis zum Basislager gewesen. Als sein Zustand nach drei Tagen im Basislager "schlechter und schlechter" wurde, habe man ihn mit dem Hubschrauber nach Kathmandu geflogen und dort ins Krankenhaus gebracht.
Die vielen keinen Zelte im Basislager wirken aus der Ferne pittoresk. Doch wer hier erkrankt, muss unter großem Aufwand abtransportiert werden.
Vorwürfe an die Regierung
Ende April häuften sich die Meldungen über erkrankte Bergsteiger. Zuverlässige Zahlen gab es zunächst aber keine. Dafür jedoch Berichte auch von anderen Bergsteigern wie dem Basken Alex Txikon, der selbst krank wurde. Im Nachrichtensender CNN erhob er schwere Vorwürfe gegen die nepalesische Regierung.
Sein ursprünglicher Plan sei es gewesen, den Mount Everest ohne Sauerstoff zu besteigen. Es wäre gefährlich geworden, wenn er sich dabei das Coronavirus gefangen hätte: "Ich glaube, die Regierung von Nepal spielt mit unseren Leben. Wenn da wer an Corona gestorben wäre, das wäre ein riesiges Problem für die nepalesische Regierung geworden. Deshalb verschweigen sie die Wahrheit."
Ein Ritual vor jedem Aufstieg: Im Basislager bekunden Bergsteiger, Sherpas und weitere Expeditionsmitglieder dem Berg ihren Respekt.
Die Behörde weiß von nichts
Mira Acharya, Chefin der nepalesischen Tourismusbehörde in Kathmandu, sagt dagegen, sie habe keinen einzigen offiziell bestätigten Fall von Covid-19. "Erst mussten wir uns rechtfertigen, warum wir dieses Jahr überhaupt Expeditionsgenehmigungen für den Everest ausstellen", beklagt sie sich. "Und als nächstes kam das Gerücht über Covid-19-Fälle auf, obwohl keine solchen Fälle verzeichnet wurden." Acharya nennt das "die größte Herausforderung, der wir gegenüberstanden".
Nepal ist abhängig vom Fremdenverkehr, vor allem vom Bergtourismus. Er bringt jedes Jahr Hunderte Millionen Dollar. Vergangenes Jahr war die Saison aufgrund der Corona-Pandemie vollständig ausgefallen, die Einnahmen hatten sich im Vergleich zum Vorjahr fast halbiert. 2021 sollte alles wieder besser werden. Über 400 Genehmigungen für den Everest-Aufstieg wurden erteilt - ein neuer Rekord. Gute Nachrichten sollte es geben und schöne Bilder.
Doch stattdessen kommen aus Nepal Bilder, die man zuvor aus Indien gesehen hatte: von Schwerkranken, die um Luft ringen, Angehörigen, die verzweifelt Sauerstoff für sie suchen, Freiluft-Krematorien im Dauerbetrieb. Seit Ende April steigt die Zahl der Neuinfektionen explosionsartig, das Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps.
Dutzende Expeditionen wollen aufbrechen
Und am Everest? Dort halten sich im Basislager zwischen 1500 und 2000 Menschen auf. 42 Expeditionen, die die kurze Zeitspanne nutzen wollen, in der man den Gipfel erreichen kann. Der Österreicher Lukas Furtenbach allerdings hat seine Expedition vor einigen Tagen abgebrochen - eine schwere Entscheidung, sagt er. Doch die Situation habe sich in den vergangenen vier Wochen seit Bekanntwerden der ersten Fälle im Basislager zunehmend verschlechtert. Sie hätten mitbekommen, wie immer mehr und mehr Leute sich infiziert hätten und evakuiert worden seien - "und dann war eigentlich die Entscheidung gemeinsam mit der Expeditionsärztin klar".
50 bis 60 Bergsteigerinnen und Bergsteiger hätten Corona-Symptome gezeigt und seien erkrankt, diese Zahl hätten Hubschrauberpiloten und Versicherungsgesellschaften bestätigt. "Die Dunkelziffer liegt geschätzt bei 100 bis 150 Personen oder vielleicht sogar noch darüber", sagt Furtenbach.
Die Verantwortung der Bergsteiger
Wenige Tage später zieht auch ein amerikanischer Veranstalter die Notbremse. Warum reagieren die nepalesischen Behörden nicht? Der wirtschaftliche Druck spiele eine große Rolle, sagt die Deutsche Billi Bierling, Bergsteigerin und Journalistin. Aber auch die ausländischen Bergsteiger trügen ihren Anteil.
Viele hätten schon 2020 auf den Mount Everest gewollt. Da dies nicht möglich war, hätten sie ihr Geld gespart und trainiert. "Und dann wollen die natürlich jetzt gehen. Und Nepal hat die Türen aufgemacht. Das war ein Fehler. Man war einfach zu leichtsinnig, weil ja alles so gut aussah."
Trotz Corona verfolgen zahlreiche Expeditionen noch ihr ursprüngliches Ziel: den Gipfel des Mount Everest zu erreichen. Am vergangenen Wochenende, so die nepalesische Tourismusbehörde, hätten es 200 Bergsteigerinnen und Bergsteiger nach ganz oben geschafft.