Hohes Wachstum, viele Start-ups Indien wird zur wirtschaftlichen Supermacht
Die indische Wirtschaft wächst rasant. Schon in vier Jahren soll Indien Deutschland und Japan überholt haben. Menschen, die zuvor ausgewandert waren, kehren zurück in ihre Heimat und bauen dort Firmen auf.
Auf dem Beamer liegen die neuesten Geschäftszahlen, die Srikanth Reddy seinem Team vorträgt. Der 29-Jährige aus der südindischen Millionenmetropole Hyderabad hat das Start-up Hala Mobility gegründet: ein Unternehmen, das auf nachhaltige Mobilität setzt und Elektroroller an Kunden wie Lieferboten verleiht. Innerhalb von drei Jahren sammelte er rund eine Million Dollar an Investorengeldern ein, knapp 80 Mitarbeiter hat er inzwischen eingestellt.
Reddy hat in Italien und Spanien studiert, in Madrid seinen Doktortitel gemacht. Für einige Jahre arbeitete er als gut bezahlter Datenspezialist in Spaniens Hauptstadt. Dann entschloss er sich bewusst zu einer Rückkehr in sein Heimatland. "Mit meinem Job hätte ich in Europa ein sorgenfreies Leben führen können", sagt Reddy. "Was ich aber wollte, ist wirklich etwas bewegen. Ich wollte etwas schaffen, das ein großes Problem löst."
Staat investiert in Innovationszentren
In Indien, so sagt er, findet er dafür die perfekten Ausgangsbedingungen. Kaum eine Volkswirtschaft wächst zurzeit so schnell wie die indische. Das Bruttoinlandsprodukt wird nach einer Prognose der OECD im Jahr 2023 um sechs Prozent wachsen. Zum Vergleich: Für Deutschland sagt die Industrieländer-Organisation eine stagnierende Wirtschaft voraus. Die Folge: Schon in vier Jahren soll Indiens Volkswirtschaft größer sein als die von Deutschland oder Japan.
Vor allem größere Städte sind Treiber des Wachstums, so wie die südindische Metropole Hyderabad. Der Staat investiert hier Millionen Euro an Forschungsgeldern in Innovationszentren wie das "T-Hub", nach eigenen Angaben das größte seiner Art weltweit. Zurzeit haben hier etwa 350 Start-ups ihr Büro, noch etwa zweimal so viel passen hinein: "Bald werden es mehr als 1.000 sein", sagt Anthony Anish, Geschäftsführer des "T-Hub". "Von hier werden Ideen und Erfindungen kommen, von denen alle Inderinnen und Inder profitieren werden."
Im "T-Hub" haben derzeit rund 350 Start-ups ihr Büro, doch es sollen bald sehr viel mehr sein.
Große Diskrepanz zwischen Städten und Dörfern
Ein Versprechen, das wohl vor allem in Richtung der Bevölkerung gehen soll, die auf dem Land lebt. Noch immer sind dies etwa zwei Drittel aller Menschen. Knapp 200 Kilometer von Hyderabad entfernt liegt das Dorf Saidapur. Bharathi Kumar ist 38 Jahre alt und ihren Heimatort bisher kaum verlassen. "Nichts hat sich hier in den vergangenen Jahrzehnten geändert", erzählt sie. "Auch wenn uns das von der Politik anders versprochen wurde."
Zwei Kühe und ein Reisfeld besitzt ihre Familie. Ab und zu verkauft sie Früchte auf einem lokalen Wochenmarkt. Mit umgerechnet etwa 150 Euro pro Monat müssen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten. "Wir fühlen uns auf den Dörfern im Stich gelassen", so Kumar. "Vom technologischen Fortschritt oder besseren Lebensumständen bekommen wir nichts mit."
Lösungen für ländliche Umgebungen gesucht
Jungunternehmer Srikanth Reddy will Verantwortung übernehmen. Der Sohn von Bharathi Kumar arbeitet bei ihm im Unternehmen als Mechaniker. Es gelte, in Zukunft Lösungen zu erarbeiten, die auch der ländlichen Bevölkerung zugute kämen. "Ob es nun der Weg in die Stadt ist oder eine Verbesserung der generellen Lebensumstände", so Reddy. "Auch Menschen aus kleinen Dörfern müssen ihre Träume verwirklichen können. Da gibt es noch eine große Lücke, die es zu schließen gilt."
Das staatliche Innovationszentrum "T-Hub" will sich auch dessen annehmen. Laut Anthony Anish befassen sich viele Jungunternehmer bereits mit den Herausforderungen im ländlichen Raum. "Unternehmen, die sich zum Beispiel mit Agrartechnologie und Nachhaltigkeit beschäftigen, arbeiten an Problemen, die abseits der Städte entstehen", sagt Anish. "Es wird eine ganze Menge Energie hineingesteckt, um Lösungen für die Dorfbewohner Indiens zu entwickeln."
Für wegweisende Ideen und Technologien existieren in Hyderabad jedenfalls große Ziele. Das Innovationszentrum wird derzeit um zwei Gebäude erweitert. In fünf Jahren sollen dann nicht mehr 1.000, sondern 20.000 Start-ups Platz finden. "Es dauert nicht mehr lange, dann werden wir in Hyderabad als Silicon Valley Indiens gelten", sagt Reddy. In Indien wächst nicht nur die Wirtschaft, sondern auch das Selbstvertrauen.
Über dieses Thema berichtet der "Weltspiegel" heute um 18.30 Uhr im Ersten.