Hamas-Überfall auf Israel Kämpfe gehen auch am Abend weiter
Aus der Luft, über das Meer und über den Landweg hat die Hamas Israel angegriffen - und dabei viele Israelis getötet und Geiseln genommen. Noch immer kämpfen offenbar Hunderte Terroristen in Israel. In Tel Aviv gab es am Abend wieder Raketenalarm.
Der massive Angriff der Hamas kam für Israel offenbar überraschend - und noch immer ist die Lage in weiten Teilen unübersichtlich. Seit dem frühen Samstagmorgen haben militante Palästinenser mehr als 3.000 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert. Zudem gelang es zahlreichen Terroristen auf dem Land-, See- und Luftweg nach Israel vorzudringen. An fast zwei Dutzend Orten liefert sich die Hamas nach Angaben der israelischen Armee weiterhin heftige Kämpfe mit Soldaten. Noch immer sind laut Armeesprecher Richard Hecht Hunderte Terroristen auf israelischem Boden.
Den Terroristen gelang es offenbar, mehrere Israelis als Geiseln zu nehmen. Ein Sprecher der israelischen Armee erklärte, die Hamas habe, "eine substanzielle Zahl israelischer Soldaten und Offiziere gefangen genommen". In den sozialen Medien gibt es auch Bilder von Zivilisten, die offenbar als Geiseln genommen wurden - eine Bestätigung dafür gibt es bislang nicht. Es gebe eine "ernste Geiselnahme-Lage in Beeri und auch in Ofakim", sagte Armeesprecher Hecht. Die beiden Orte liegen in der Nähe der israelischen Grenze zum Gazastreifen.
Auch zur Zahl der Todesopfer gibt es bislang keine offiziellen Angaben. Nach Medienberichten stieg die Zahl am Abend auf mindestens 300. Rund 1590 Menschen wurden verletzt, wie mehrere israelische Medien unter Berufung auf medizinische Quellen berichteten.
Todesopfer im Gazastreifen nach Gegenangriff
Israels Regierung reagierte auf die massiven Angriffe der Hamas mit der Ankündigung von Gegenschlägen. Erste Ziele im Gazastreifen seien bereits mit Dutzenden Kampfjets angegriffen worden, teilte ein Sprecher mit. Es seien 17 Militäranlagen und vier Kommandozentren der islamistischen Hamas beschossen worden. Dabei wurden mindestens 232 Menschen getötet und knapp 1700 wurden verletzt, wie das Gesundheitsministerium im Gazastreifen bekannt gab.
Israel stellt zudem Stromlieferungen in den Gazastreifen ein. Der israelische Energieminister Israel Katz erklärte, er habe eine entsprechende Anordnung unterzeichnet. Das Palästinensergebiet importierte bislang bis zu 120 Megawatt Strom vom staatlichen israelischen Energieversorger.
Raketenalarm im Großraum Tel Aviv
Die Hamas setzte ihre Angriffe auf Israel derweil fort. Am Abend gab es im Großraum Tel Aviv und anderen Städten erneut Raketenalarm. Bei den Angriffen wurden mehrere Menschen verletzt, drei davon schwer, wie der Rettungsdienst Magen David Adom meldete. Ob die Menschen durch die Angriffe selbst oder auf der Flucht verletzten, war zunächst unklar. Israelische Medien berichteten unter Berufung auf die Feuerwehr, ein Gebäude in Tel Aviv sei von Raketen getroffen und eingestürzt. Zwei Menschen seien gerettet worden.
Über der Küstenmetropole waren zahlreiche Explosionen zu hören, von denen die meisten vermutlich durch das israelische Raketenabwehrsystem Iron Dome ausgelöst wurden. Zuvor heulten in mehreren Städten des Landes die Warnsirenen.
Hamas konnte Sperrungen überqueren
Am Morgen waren bewaffnete Terroristen aus Gaza in israelische Ortschaften wie die 30.000-Einwohner-Stadt Sderot eingedrungen. Sie liegt zwei Kilometer von der Grenze entfernt. Ein Video zeigt, wie Kämpfer auf einem Balkon stehen. Terroristen klingeln an Haustüren, an einer Bushaltestelle liegen Menschen erschossen auf dem Boden. Eine Frau berichtet voller Angst, wie sie mit Mann und Kind im Bunker auf Hilfe wartet.
Wie die Militanten trotz strenger Grenzkontrollen nach Israel vordringen konnten, ist unklar. Armeesprecher Richard Hecht sagte, es seien unter anderem Gleitflieger eingesetzt worden.
Israel hat entlang der Grenze zum Gazastreifen einen massiven Zaun errichtet, der Infiltrationen verhindern soll. Er verläuft auch tief unter der Erde und ist mit Kameras, Hightechsensoren und empfindlicher Abhörtechnik ausgestattet. Dass die Hamas die Sperren überwunden hat, ist für sie ein großer Erfolg.
"Wir sind im Krieg"
Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sagte in einer Videobotschaft aus dem Militärhauptquartier in Tel Aviv: "Bürger Israels, wir sind im Krieg." Das Land wurde offiziell in Kriegsbereitschaft versetzt. Das ermöglicht es der Armee beispielsweise Reservisten zu mobilisieren, was Verteidigungsminister Joav Galant bereits genehmigte.
Der Angriff erfolgte am jüdischen Feiertag Simchat Tora, dem letzten einer ganzen Reihe von Festen und hat Israel offenbar überrascht, was an den Beginn des Jom-Kippur-Kriegs 1973 erinnert, als Ägypten und Syrien Israel zunächst überrumpelt hatten.
Hamas spricht von "Militäroperation"
Die im Gazastreifen herrschende militant-islamistische Hamas hatte am Morgen den Beginn einer "Militäroperation" gegen Israel erklärt. Man habe beschlossen, israelischen "Verbrechen" ein Ende zu setzen, sagte der Militärchef Mohammed Deif. "So wird der Feind verstehen, dass die Zeit, in der er wütet, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, vorbei ist. Wir kündigen den Beginn der Operation 'Al Aksa-Flut' an." Er sprach von 5.000 abgefeuerten Raketen. Deif forderte zudem israelische Palästinenser und die arabische Bevölkerung jenseits der israelischen Grenzen auf, sich an den Angriffen auf Israel zu beteiligen.
Der Chef der Hamas, Ismail Hanijeh, kündigte an, den Kampf vom Gazastreifen auf das Westjordanland und Jerusalem ausweiten zu wollen.
Nach eigenen Angaben ist auch die Palästinensermiliz "Islamischer Dschihad" an den Angriffen beteiligt.
Immer wieder Zusammenstöße
Die Lage in den Palästinensergebieten, besonders im besetzten Westjordanland, hatte sich zuletzt wieder zugespitzt. Seit Donnerstag waren dort vier Palästinenser bei eigenen Anschlägen oder Konfrontationen mit der israelischen Armee getötet worden.
An der Gaza-Grenze hatte es im vergangenen Monat mehrfach gewaltsame Proteste gegeben. Dabei wurden auch Sprengsätze auf Soldaten geworfen, mehrere Palästinenser wurden durch Schüsse verletzt. Die israelische Luftwaffe griff angesichts der Vorfälle mehrmals Hamas-Posten im Gazastreifen an.
Nach UN-Angaben leben im Gazastreifen mehr als zwei Millionen Menschen unter sehr schlechten Bedingungen. Die von EU, USA und Israel als Terrororganisation eingestufte Hamas hatte 2007 gewaltsam die alleinige Macht an sich gerissen. Israel verschärfte daraufhin eine Blockade des Küstengebiets, die von Ägypten mitgetragen wird.
Mit Informationen von Jan-Christoph Kitzler und Bettina Meier, ARD Tel Aviv