Eskalation in Nahost Massiver Angriff auf Israel
Bei massiven Angriffen aus dem Gazastreifen wurden in Israel viele Menschen getötet. Militante Palästinenser drangen über Land, See und Luft nach Israel ein. Das Land wurde offiziell in Kriegsbereitschaft versetzt.
Militante Palästinenser haben am Morgen nach Angaben der Armee 2.200 Raketen vom Gazastreifen auf Ziele in Israel abgefeuert. In verschiedenen Städten des Landes heulten Warnsirenen. Auch in Tel Aviv und Jerusalem war Raketenalarm zu hören. Das Militär rief die Einwohner der südlichen und zentralen Landesteile auf, sich in geschützte Bereiche zu begeben.
Zudem drangen laut Armeeangaben bewaffnete Palästinenser nach Israel vor. Es gab schwere Kämpfe mit israelischen Soldaten.
Dem israelischen Rettungsdienst zufolge wurden mindestens 40 Menschen getötet und nach Angaben des Gesundheitsministeriums mindestens 779 verletzt. Die Behörden rechnen mit weiteren Opfern.
Das israelische Militär beschoss als Reaktion Ziele im Gazastreifen. Dutzende Kampfjets seien an dem Angriff beteiligt gewesen, teilte ein Sprecher mit. Es seien 17 Militäranlagen und vier Kommandozentren der im Gazastreifen herrschenden islamistischen Hamas angegriffen worden.
Palästinenser dringen nach Israel ein
Die militanten Palästinenser seien über Land, See und Luft nach Israel eingedrungen, sagte Armeesprecher Richard Hecht. Es gebe momentan Kämpfe mit israelischen Soldaten an verschiedenen Orten im Umkreis des Gazastreifens. Dazu zählten zwei Militärbasen, der Eres-Übergang zum Gazastreifen sowie mehrere Ortschaften.
Im israelischen Fernsehen war zu sehen, wie bewaffnete Terroristen aus Gaza in israelische Ortschaften wie die 30.000-Einwohner-Stadt Sderot eindringen. Sie liegt zwei Kilometer von der Grenze entfernt. Ein Video zeigt, wie Kämpfer auf einem Balkon stehen. Terroristen klingeln an Haustüren, an einer Bushaltestelle liegen Menschen erschossen auf dem Boden. Eine Frau berichtet voller Angst, wie sie mit Mann und Kind im Bunker auf Hilfe wartet.
Gal Naim, ein Anwohner von Sderot, schickte der ARD diese Nachricht aus seinem Haus:
Unsere schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden. Terroristen, die uns töten wollen, laufen durch unsere Straßen. Es erinnert an die ISIS-Terroristen, die mit ihren Jeeps durch die Wüste im Irak und in Afghanistan gefahren sind. Sie sind vor meiner Tür. Wir sind unter Belagerung in unseren Häusern bei unseren Lieben. Wir hören Schüsse und Explosionen durch die Straßen hallen. Wir sind gestresst, aber wir sind Zionisten und haben keine Angst.
Bilder die ARD-Mitarbeiter aus Gaza erhalten, zeigen lebende gefangene Soldaten unter einer Plane, wie Terroristen mit einem israelischen Militärjeep herumfahren und eine Menschenmenge, die auf einem toten Soldaten herumtrampelt.
Hamas konnten Sperrungen überqueren
Wie die Militanten trotz strenger Grenzkontrollen nach Israel vordringen konnten, ist unklar. Armeesprecher Hecht sagte, es seien unter anderem Gleitflieger eingesetzt worden. Die Zahl der Angreifer konnte er nicht benennen.
Israel hat entlang der Grenze zum Gazastreifen einen massiven Zaun errichtet, der Infiltrationen verhindern soll. Er verläuft auch tief unter der Erde und ist mit Kameras, Hightechsensoren und empfindlicher Abhörtechnik ausgestattet. Dass die Hamas die Sperren überwunden hat, ist für sie ein großer Erfolg.
"Wir sind im Krieg"
Ministerpräsident Benjamin Netanyahu sagte in einer Videobotschaft aus dem Militärhauptquartier in Tel Aviv: "Bürger Israels, wir sind im Krieg." Das Land wurde offiziell in Kriegsbereitschaft versetzt. Das ermöglicht es der Armee beispielsweise Reservisten zu mobilisieren, was Verteidigungsminister Joav Galant bereits genehmigte. "Hamas hat heute Morgen einen großen Fehler gemacht", sagte er.
Der Angriff erfolgte am jüdischen Feiertag Simchat Tora, dem letzten einer ganzen Reihe von Festen und hat Israel offenbar überrascht, was an den Beginn des Jom-Kippur-Kriegs 1973 erinnert, als Ägypten und Syrien Israel zunächst überrumpelt hatten.
Hamas spricht von "Militäroperation"
Die im Gaza herrschende islamistische Hamas hatte am Morgen den Beginn einer "Militäroperation" gegen Israel erklärt. Man habe beschlossen, israelischen "Verbrechen" ein Ende zu setzen, sagte der Militärchef Mohammed Deif. "So wird der Feind verstehen, dass die Zeit, in der er wütet, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden, vorbei ist. Wir kündigen den Beginn der Operation 'Al Aksa-Flut' an." Er sprach von 5.000 abgefeuerten Raketen. Deif forderte zudem israelische Palästinenser und die arabische Bevölkerung jenseits der israelischen Grenzen auf, sich an den Angriffen auf Israel zu beteiligen.
Nach eigenen Angaben ist auch die Palästinensermiliz "Islamischer Dschihad" an den Angriffen beteiligt.
Immer wieder Zusammenstöße
Die Lage in den Palästinensergebieten, besonders im besetzten Westjordanland, hatte sich zuletzt wieder zugespitzt. Seit Donnerstag waren dort vier Palästinenser bei eigenen Anschlägen oder Konfrontationen mit der israelischen Armee getötet worden.
An der Gaza-Grenze hatte es im vergangenen Monat mehrfach gewaltsame Proteste gegeben. Dabei wurden auch Sprengsätze auf Soldaten geworfen, mehrere Palästinenser wurden durch Schüsse verletzt. Die israelische Luftwaffe griff angesichts der Vorfälle mehrmals Hamas-Posten im Gazastreifen an.
Nach UN-Angaben leben im Gazastreifen mehr als zwei Millionen Menschen unter sehr schlechten Bedingungen. Die von EU, USA und Israel als Terrororganisation eingestufte Hamas hatte 2007 die Macht übernommen. Israel verschärfte daraufhin eine Blockade des Küstengebiets, die von Ägypten mitgetragen wird.
Mit Informationen von Jan-Christoph Kitzler und Bettina Meier, ARD Tel Aviv