Protestbewegung im Iran Das Regime in der Krise?
Die Proteste gegen die autoritäre Regierung im Iran halten an - trotz verhängter Todesurteile und brutalen Vorgehens gegen die Demonstrierenden. Um sich an der Macht zu halten, bleibt dem Regime nur Gewalt.
Gut zwei Monate nach dem Tod Mahsa Aminis ist die Situation im Iran unübersichtlich. Die Frage, ob und - wenn ja - inwieweit die Proteste bereits Uneinigkeiten oder gar Risse innerhalb des Regimes bewirkt haben, ist kaum zu beantworten. Beachtlich aber ist, dass die Demonstrationen seitdem anhalten, obgleich General Hossein Salami, Kommandant der Revolutionsgarden, schon vor drei Wochen unmissverständlich forderte, sie müssten unverzüglich aufhören. Offensichtlich lässt sich ein Teil der mehrheitlich jungen Iraner nicht mehr von Drohungen abschrecken und will seine angestaute Wut und Unzufriedenheit über das System der Islamischen Republik dauerhaft auf die Straßen tragen.
Da die Demonstrationen überall im Land stattfinden und die Protestbewegung keine personelle Spitze aufweist, hat die Regierung erhebliche Schwierigkeiten, sie einzudämmen und strategisch zu schwächen. Aussagen wie die von Parlamentspräsident Mohammad Bagher Ghalibaf, das Land sei durchaus zu gewissen Reformen in der Lage, verhallten. Denn zum einen versteht die Mehrheit der iranischen Machtelite Reformen als Zeichen der Schwäche verstehen. Zum anderen fordern viele Demonstranten nicht nur eine Reformierung der Islamischen Republik, sondern den Systemwechsel. Und die heute regierenden Islamisten wissen nur zu gut, dass das Regime des Schahs Ende der Siebzigerjahre zu wackeln begann, als der Monarch den Forderungen der Straße nachgab.
Das Regime setzt auf Gewalt
Deshalb setzt das Regime auf die gewaltsame Unterdrückung der Proteste. Die von Menschenrechtsgruppen angegebenen Zahlen von etwa 400 Toten und mehr als 16.800 Festnahmen sprechen eine eindeutige Sprache. Zwar hat Ayatollah Ali Khamenei bislang noch nicht öffentlich gefordert, dass die Unruhen niedergeschlagen werden müssten. Gleichwohl munkelt man, dass die jüngsten Exzesse in der südöstlichen Provinz Sistan-Belutschistan für den Revolutionsführer eine Art Testlauf waren: Hier hatten Sicherheitskräfte wiederholt auf mehrheitlich sunnitische Demonstranten geschossen, unter denen auch Geistliche waren, und dabei Dutzende Menschen getötet. Dennoch konnten die Proteste nicht gestoppt werden.
Dass Gerichte jetzt im Eilverfahren mehrere Todesurteile gegen Demonstranten ausgesprochen haben, ist deshalb für die Machthaber nur folgerichtig: Das Regime sucht nach Abschreckungsmöglichkeiten. Auch wenn es das nicht öffentlich kundtun will: Zum Überleben hilft ihm nur rohe Gewalt. Das Regime versteckt sich hinter niederrangigen Sicherheitskräften, um die wirklich brutalen Einheiten zu verdecken. So wird offiziell betont, die Bekämpfung der momentanen Proteste liege bei der Polizei sowie den paramilitärischen Freiwilligenverbänden der Basidsch-Milizen. Doch es mehren sich Berichte, wonach auch die Revolutionswächter, die die Proteste der "Grünen Bewegung" 2009 rücksichtslos zum Verstummen gebracht hatten, aktiv sind - getarnt in den Uniformen von Polizei und Basidsch-Milizen.
Zudem berichtet die Menschenrechtsorganisation Amnesty International über geheime Dokumente, in denen der Generalstab der Streitkräfte alle regionalen Befehlshaber zu "harten Maßnahmen" gegen die Demonstranten aufgefordert habe. Dass diese Vorgehensweise den Regierenden wirklich nützt, darf bezweifelt werden. Zur Erinnerung: Am "Schwarzen Freitag" von 1978 ließ der Schah am Teheraner Jaleh-Platz auf unbewaffnete Demonstranten schießen und entfesselte dadurch einen noch stärkeren Protest gegen sein Regime.
Gehen die Proteste weiter?
Ob die Demonstranten weiterhin auf die Straßen gehen werden, ist angesichts der stetig wachsenden Gewalt gegen sie nicht sicher. Es spricht aber einiges dafür: Die offensichtlich gesunkene Angstschwelle bei einem Teil von ihnen, das Erstarken der Unruhen zum Jahrestag der niedergeschlagenen Proteste von 2019 in dieser Woche und auch der Unmut über die jüngsten Wirtschaftsdaten. So berichtete Ende vergangener Woche Masoud Mirkazemi, Präsident der staatlichen Organisation für Planung und Staatshaushalt, von einem Haushaltsdefizit von 34 Prozent für das laufende Jahr, das im Iran bis zum 20. März dauert. Zudem gibt es Gerüchte, dass der 20-prozentige Wertverlust des Rial in den vergangenen zwei Wochen den immensen Ausgaben der Regierung für die Sicherheitskräfte geschuldet sei.
Bislang verzichten Irans Machthaber darauf, bis zum Äußersten zu gehen. Stattdessen warnt Außenminister Hossein Amir-Abdollahian vor einem "Bürgerkrieg", den seiner Meinung nach westliche Staaten im Land organisieren. Die Demonstranten werden seine Worte wohl als Hinweis verstehen, dass die Hardliner jetzt zugeben, Angst vor dem Ende "ihrer" Islamischen Republik zu haben. So oder so: Wenn die Proteste anhalten und auch dauerhaft wichtige Bereiche des öffentlichen Lebens wie die Basare und das Transportwesen oder gar die Petro-Industrie erfassen, dürfte ein weiteres Blutbad unvermeidlich sein. Am Donnerstag soll das Geburtshaus von Ayatollah Ruhollah Chomeini angezündet worden sein. Das Anwesen in der zentraliranischen Stadt Chomein war seit 30 Jahren ein Museum.