Laut Generalstaatsanwalt Iranische Sittenpolizei aufgelöst
Die Sittenpolizei im Iran ist offenbar aufgelöst worden. Das berichten Medien unter Berufung auf den iranischen Generalstaatsanwalt. Die Bürger vermuten ein Ablenkungsmanöver. Und es soll ein Untersuchungsausschuss eingesetzt werden.
Angaben des iranischen Generalstaatsanwalts zufolge soll die Führung des Landes dem Druck durch die seit September anhaltenden Proteste zumindest zum Teil nachgegeben haben. Sowohl die im Iran veröffentlichte Tageszeitung "Shargh" als auch die iranische Nachrichtenagentur Isna berichteten unter Berufung auf Generalstaatsanwalt Mohammed-Dschafar Montaseri, dass die sogenannte Sittenpolizei aufgelöst worden sei.
"Die Sittenpolizei hat nichts mit der Justiz zu tun und wurde von denjenigen, die sie in der Vergangenheit eingerichtet haben, geschlossen", sagte Montaseri laut Isna. Von anderer Seite wurde die Auflösung bisher nicht bestätigt. Auch Montaseri nannte keine weiteren Details, etwa wie die mutmaßliche Auflösung umgesetzt werden soll.
Auch ARD-Journalistin Natalie Amiri berichtete per Tweet über die Bekanntgabe der Generalstaatsanwaltschaft. Gleichzeitig betonte sie jedoch, dass es innerhalb der Bevölkerung Zweifel an der Ankündigung gebe und sie teils als Ablenkung angesichts weiterer erwarteter Proteste aufgefasst werde.
Djir-Sarai: "Ablenkungsmanöver"
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bezeichnete die Auflösung der Sittenpolizei als "Ablenkungsmanöver" der Staatsführung. "Das Regime steht vor dem Zusammenbruch und versucht, sich mit Ablenkungsmanövern zu retten", sagte der im Iran geborene Politiker den Zeitungen der Funke Mediengruppe. "Die Mehrheit der Menschen kennt die Lügen der Führung und lässt sich nicht beirren" - die Menschen wollten die Abschaffung der Islamischen Republik.
Sittenpolizei überwacht Einhaltung der Kleidervorschriften
Mitglieder der Sittenpolizei sind im Iran vor allem dafür zuständig, die strengen islamischen Kleidervorschriften durchzusetzen. Seit etwa 40 Jahren sind Frauen diesen Vorgaben zufolge dazu verpflichtet, in der Öffentlichkeit ein Kopftuch zu tragen. Zudem sollen sie durch weite Kleidung die Konturen ihrer Körper verhüllen. Dies solle dazu dienen, "Land und Volk vor der westlichen Kulturinvasion zu retten", zitiert die Nachrichtenagentur dpa aus den Vorschriften. Seit 2005 existiert im Iran die Sittenpolizei, um für die Einhaltung eben jener Auflagen zu sorgen.
Auch Amini war von Sittenpolizei verhaftet worden
Auch der Tod der 22 Jahre alten Mahsa Amini im September steht vermutlich im Zusammenhang mit dem Einsatz der Sittenpolizei: Sie hatte die junge Frau festgenommen, weil sie gegen die Kleidervorschriften verstoßen haben soll.
Amini starb, während sie sich in Gewahrsam befand. Die genauen Umstände ihres Todes sind nach wie vor ungeklärt. Ihre Familie hat wiederholt öffentlich betont, Amini sei infolge von Gewalt gestorben. Iranische Behörden sprechen hingegen von Vorerkrankungen der 22-Jährigen, die zu ihrem Tod geführt hätten.
Generalstaatsanwalt: Debatte über Kopftuchpflicht
Die seitdem anhaltenden landesweiten Proteste richten sich vorrangig gegen die strikten islamischen Doktrinen - im Fokus steht dabei auch die Kopftuchpflicht für Frauen.
Bereits am Freitag hatte sich Generalstaatsanwalt Montaseri gegenüber der Nachrichtenagentur Isna zur Kopftuchpflicht geäußert. "Das Parlament und die Justiz" würden sich derzeit mit diesem Thema befassen. "In ein oder zwei Wochen" könnte es Ergebnisse dieser Debatte geben. Ob das eine mögliche Änderung des Gesetzes zum Tragen eines Kopftuches bedeutet, ließ Montaseri aber offen.
Der iranische Präsident Ebrahim Raisi hatte erst am Samstag von den "starken und unveränderlichen Werten und Prinzipien" der iranischen Verfassung gesprochen. Allerdings fügte er hinzu, dass es "Methoden zur Umsetzung der Verfassung" gebe, "die geändert werden können". Noch im Juli hatte Raisi auf die Durchsetzung der Kopftuchpflicht "durch alle staatlichen Institutionen" gedrungen.
Untersuchungsausschuss zu Protesten
Im Laufe des Tages wurde ein weiterer ungewöhnlicher Schritt bekannt: Der Iran kündigte an, einen Untersuchungsausschusses einzusetzen - dieser soll die Gründe für die seit mehr als zwei Monaten andauernden Proteste im Land klären. Allerdings sollen weder Demonstranten oder Systemkritiker noch andere politische Parteien daran teilnehmen, erklärte Innenminister Ahmad Wahidi laut Nachrichtenagentur Ilna.
Zu den Gründen erklärte Wahidi, die Protestierenden hätten gar keine Vertreter, "außerdem hatten wir es mit Krawallmachern und Unruhestiftern und nicht mit Demonstranten zu tun." Dem Minister zufolge gehe es in dem Untersuchungsausschuss darum, "die Wurzeln der Proteste zu erkunden, und daher werden nur relevante Behörden und unabhängige Juristen an den Diskussionen im Ausschuss teilnehmen".
Kritiker gaben allerdings zu bedenken, dass eine Untersuchung der Proteste ohne Teilnahme von Protestvertretern oder Oppositionspolitikern keine konstruktiven Ergebnisse erzielen würde. Manche bezeichneten den Vorschlag als "absurd".
Berichte: Krisengipfel im Parlament
Zuvor hatte Raisi sich Medienberichten zufolge mit mehreren Ministern zu einem Krisengipfel getroffen. Auf der Agenda des nicht-öffentlichen Treffens im Parlament in Teheran hätten die jüngsten Entwicklungen im Land gestanden, berichtete die Agentur Isna. Am Samstagabend hatte Raisi sich nach Angaben des Präsidialamts mit Parlamentspräsident Mohammed-Bagher Ghalibaf und Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi beraten.
Aufruf zu weiteren Protesten
Für die kommende Woche haben Aktivisten im Internet zu weiteren Protesten im Iran aufgerufen, wie die Nachrichtenagentur dpa berichtet. Iranische Behörden versuchen mit Internetsperren gegen die Protestbewegung vorzugehen. Zudem werden die Demonstrationen mit teils massivem gewaltsamen Vorgehen unterdrückt. Mehrere Länder, darunter auch Deutschland, verurteilen dies gewaltsame Unterdrückung der Proteste und haben deswegen Sanktionen gegen den Iran verhängt.
Die Zahlen zu den Todesopfern in Zusammenhang mit den Protesten schwanken stark. Der Nationale Sicherheitsrat des Iran spricht von 200 Toten, die iranischen Revolutionsgarden melden offiziell 300 Tote.
Menschenrechtsaktivisten gehen jedoch von deutlich mehr Todesopfern aus. Die Gruppierung Iran Human Rights etwa beziffert die Zahl der Todesopfer mit etwa 470, darunter auch mehr als 60 Minderjährige. Zudem seien mehr als 18.000 Personen wegen Beteiligung oder Unterstützung der Proteste festgenommen worden. Seit Mitte November haben iranische Gerichte gegen mehrere Teilnehmer an den Protesten Todesurteile verhängt.