Parlamentswahl im Iran "Keiner dieser Kandidaten repräsentiert mich"
Im Iran wird heute ein neues Parlament gewählt. Doch große Teile der Bevölkerung wollen die Abstimmung boykottieren. Wut und Frust über Repressionen und die schlechte wirtschaftliche Lage gehen quer durch die Gesellschaft.
Von Wahlkampfstimmung ist dieser Tage in der iranischen Hauptstadt so gut wie gar nichts zu spüren. Vielmehr sprechen die Menschen über den starken Schneefall, der seit Tagen immer wieder für Verkehrschaos sorgt. Am Enghelab-Platz, dem Platz der Revolution, gehen die meisten Menschen an den Wahlplakaten vorbei, ohne sie zu beachten.
Angesprochen auf die Wahlen rollen viele von ihnen nur entnervt mit den Augen und machen einem klar, dass sie auf keinen Fall wählen wollen. Vor einer TV-Kamera über die Gründe zu sprechen, das trauen sich viele von ihnen hingegen nicht. "Wenn ich Euch meine Meinung sage, dann kriege ich morgen große Probleme", ruft ein Mann.
Die Wahlplakate interessieren die Teheraner weniger - der Winter beschäftigt sie in diesen Tagen.
Die Opposition darf nicht teilnehmen
Die Wahlbeteiligung könnte in Großstädten besonders niedrig ausfallen. Repräsentative Umfragen gibt es nicht, nur Schätzungen. Die Hauptstadt Teheran liegt da irgendwo zwischen 20 und 25 Prozent. Eine ernsthafte politische Opposition, die zu Wahlen zugelassen würde, gibt es in der Islamischen Republik nicht.
Die Kandidaten sind vom sogenannten Wächterrat vorselektiert, ein erzkonservatives Gremium, bestehend aus zwölf Geistlichen, der Vorsitzende ist bereits 97 Jahre alt. Bekannte Reformer sitzen im Gefängnis oder haben Politikverbot.
Es trifft auch die Konservativen
Und selbst solche Kandidaten, die Teil des Regimes sind und nur kleine Änderungen vorantreiben wollten, werden inzwischen von Wahlen ausgeschlossen.
So zum Beispiel auch der ehemalige Präsident Hassan Rohani, oft als moderat betitelt, im Grunde ein klassischer Konservativer. Rohani saß 20 Jahre im sogenannten Expertenrat, der heute ebenfalls gewählt wird. Ein Gremium aus 88 Personen, deren Aufgabe die Wahl des Religionsführers ist.
Bisher war das erst einmal nötig. 1989, nach dem Tod von Ayatollah Ruhollah Khomeini, entschieden sich die damaligen Mitglieder für Ali Khamenei, der bis heute die Führung stellt. Über mögliche Nachfolger, wie zum Beispiel der aktuelle ultrakonservative Präsident Ebrahim Raisi, gibt es immer wieder Gerüchte, aber wenige konkrete Hinweise.
Wahlbeteiligung sinkt seit Jahren
Ein Problem für das Regime ist, dass die Wahlbeteiligung seit Jahren stetig sinkt. Wo kein Wettbewerb, das auch keine Wähler, sagt Abbas Abdi, Autor der Tageszeitung Etemad, eines der letzten Medien, das ab und an noch Kritik wagt.
In unserer Politik gibt es überhaupt keinen Pokal. Es gibt keine Trophäe, es gibt keinen Wettbewerb. Nun konkurrieren scheinbar Kandidaten miteinander, die im Grunde dem selben Team angehören. Und von denen habe ich bis heute kein Wort darüber gehört, was sie eigentlich machen wollen, wenn sie im Parlament sitzen.
Die Kandidaten gehören "dem selben Team an", sagt Autor Abdi über die Parlamentswahl.
Viele haben mit dem Regime abgeschlossen
Während das Regime auf Wahlplakaten einen Hashtag bewirbt, der soviel heißt, wie "Für unser Land!", haben viele Iranerinnen und Iraner in den vergangenen Tagen in den sogenannten sozialen Medien ein Foto geteilt. Es soll daran erinnern, dass die große Mehrheit des aktuellen Parlaments dafür plädiert hatte, Demonstranten hinzurichten, die nach dem Tod der 22-jährigen Jina Mahsa Amini im Herbst 2022 auf die Straße gegangen waren
"Im Iran herrscht seitdem eine noch ernsthaftere Spaltung", sagt Savash Porgham, türkisch-iranischer Journalist und Dozent für Kommunikationswissenschaft. Seit den sogenannten Frau-Leben-Freiheit-Protesten beobachtet er eine zunehmende Zahl von Menschen, die mit dem System der Islamischen Republik abgeschlossen haben. "Sie sind bereit, sich Freiheiten zu erkämpfen und sich von den Zwängen des Regimes zu befreien." Dazu zählten viele den Boykott der Wahlen.
Bilder von den Protesten nach dem Tod von Jina Mahsa Amin gingen 2022 um die Welt. Das Regime ging hart gegen die Demonstranten vor.
"Eine reine Show"
Das hat auch eine junge Studentin vor, deren Namen aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden soll. Sie ist eine der wenigen, die bereit ist, vor der Kamera zu sprechen - und das, obwohl sie bereits tagtäglich ein Risiko eingeht: Sei trägt kein Kopftuch mehr.
"Diese Wahlen sind reine Show. Sie wollen sich künstlich Legitimität verschaffen, indem sie Wahlurnen aufstellen", sagt sie und hält kurz inne. "Keiner dieser Kandidaten repräsentiert mich. Keiner dieser Menschen sollte über meine Zukunft entscheiden dürfen. Ich akzeptiere dieses ganze System nicht."
Nur wenige Meter weiter schimpft ein älterer Mann über die Politik. Er habe 1979 für die Islamische Revolution gekämpft, sagt er, und schäme sich heute dafür. "Dieses System spielt mit den Menschen, und das muss vorbei sein." Dass er nicht wählen will, liege vor allem an wirtschaftlichen Gründen: eine Inflation, die seit Jahren bei mehr als 40 Prozent liegt und eine immer größere Armut. "Ich bin nun 85 Jahre alt und ich muss an die jungen Menschen denken, die noch eine Zukunft vor sich haben."
Wählen unter Druck
Doch es gibt auch Menschen, die weiterhin wählen gehen. Nicht alle, weil sie vom System oder den Kandidaten überzeugt sind, sondern weil sie Druck verspüren. So berichtet die Menschenrechtsorganisation Hengaw von Anrufen unter anderem bei Lehrern mit der Aufforderung, zur Wahl zu gehen.
In den vergangenen Jahren waren es vor allem Regimeanhänger und Konservative, die die Wahlen ernst nahmen. Für sie war und ist die Auswahl und Einschränkung der Kandidaten nicht weiter relevant, denn sie stimmen in Sachen Weltanschauung mit den Kandidaten grundsätzlich überein.
Die Frage nach der Nachfolge von Ayatollah Khamenei schwebt über den Wahlen. Doch das entscheidende Gremien ist handverlesen.
Leere Veranstaltungen der Hardliner
In einer Sporthalle im Zentrum von Teheran haben zwei Kandidaten, die als Hardliner gelten, zu einer Wahlveranstaltung aufgerufen. Am Halleneingang wurde eine meterlange Israelflagge auf dem Boden ausgelegt. Die Teilnehmer stapfen darüber, ohne sie groß zu registrieren, es gehört zur Standardausstattung solcher Veranstaltungen.
Interessant ist vor allem eines: Die Halle ist nicht mal zu einem Viertel gefüllt. Selbst hier scheint das Interesse nachgelassen zu haben.
Um die wenigen Menschen, die gekommen sind, etwas anzuheizen, greift ein älterer Mann in grauer Jacke zum Mikrofon. Es ertönen nun die üblichen Schlachtrufe der Hardliner: Tod Amerika, Tod Israel. Die Teilnehmer stimmen ein. An diesem Nachmittag scheint das der Höhepunkt ihrer Wahlveranstaltung.