Arbeiter in der Landwirtschaft in Israel.
weltspiegel

Billiglöhner in Israel Indische Arbeiter ersetzen Palästinenser

Stand: 28.07.2024 05:06 Uhr

Seit dem Angriff der Hamas dürfen Palästinenser nicht mehr in Israel arbeiten. Dem Land fehlen mehr als 100.000 Arbeitskräfte. Ersetzen sollen sie auch Billiglöhner aus Indien.

Von Sophie von der Tann, ARD Tel Aviv, und Annette Kammerer, ARD Neu-Delhi

"Niemand hätte gedacht, dass es so enden würde", sagt die Inderin Rose Maxwell und ringt dabei um Worte. "Wir alle haben gedacht, unsere Probleme würden sich lösen, wir könnten endlich in Frieden leben."

Im Dezember machen sich Rose Maxwells Söhne Nibin und Nivin von Kerala im südlichen Indien auf nach Israel zum Arbeiten. Es lockt ein gutes Gehalt. Denn Israel, das da schon mitten im Gaza-Krieg steckt, sucht händeringend nach Arbeitskräften aus dem Ausland. Sie sollen die Palästinenser ersetzen, die seit dem Angriff der Hamas nicht mehr in Israel beschäftigt werden dürfen.

Indische Arbeiter ersetzen Palästinenser in Israel

Sophie von der Tann, ARD Tel Aviv, und Annette Kammerer, ARD Neu-Delhi, Weltspiegel, 28.07.2024 18:30 Uhr

Bis zu 120.000 israelische Arbeitsgenehmigungen gab es für Palästinenser. In Israel verdienten sie deutlich besser als im besetzten Westjordanland. Mit ihren Einkünften ernährten sie dort ganze Familien.

Auf den Orangenplantagen in Emek Hefe fehlen die Arbeitskräfte seitdem. "Diese Orangen verrotten jetzt, weil sie keiner pflückt", erklärt Erez Ilan, Vorsitzender des Landwirtschaftsverbandes in der Region. Er würde sich wünschen, dass palästinensische Arbeitskräfte wieder hier arbeiten können. "Sie sind erfahren und haben gute Beziehungen zu den Arbeitgebern." Auch die Baubranche sei nach wie vor ausgebremst.

Erez Ilan

Orangenbauer Erez Ilan wünscht sich, wieder palästinensische Arbeitskräfte zu beschäftigen: Sie seien erfahren und man komme gut mit ihnen aus.

"Hindus Only": Muslime unerwünscht

Der Angriff der Hamas war gerade einmal einen Monat her, da unterzeichneten Israel und Indien schon bilaterale Abkommen für zeitlich begrenzte Arbeitserlaubnisse auf Baustellen und im Pflegebereich. Laut einem Mitarbeiter der zuständigen indischen Behörde seien mit diesem Abkommen bisher 4.800 Menschen nach Israel geschickt worden. Insgesamt habe Israel 10.000 Arbeiter für den Bausektor und 5.000 für den Pflegebereich angefordert.

Neben staatlich organisierten Rekrutierungen gibt es in Indien auch private Agenturen, die Arbeiter nach Israel vermitteln. Auf diesem Weg kamen Rose Maxwells Söhne nach Israel. Sie nahmen einen Kredit auf, um die umgerechnet rund 3.000 Euro Vermittlungsgebühr bezahlen zu können.

In Indien gab es auf einmal überall Anzeigen, mit denen Arbeiter für Israel gesucht werden. In einer von ihnen, die dem ARD-Studio Neu-Delhi vorliegt, stand sogar explizit: "Hindus Only". Nur hinduistische Inder würden vermittelt. Keine Muslime, die in Indien mit rund 200 Millionen Menschen die größte Minderheit bilden. Christen wie die Maxwells konnten aber ebenfalls gehen.

Die Eheleute Maxwell

Die Maxwells sind eine christliche Familie und stolz auf ihre Söhne, die in Israel arbeiten.

Mit allen Mitteln Jobs schaffen

"Ihnen wurden gute Gehälter versprochen", erzählt die Mutter. 1.500 Dollar für Maurer, Maler und Fliesenleger. Viel Geld für indische Verhältnisse. Wer hier mehr als 280 Euro im Monat verdient, gehört zu den bestverdienenden zehn Prozent der Bevölkerung, erklärt Usman Jawed, Experte für Arbeitsmigration bei der Nichtregierungsorganisation FairSquare.

Obwohl Indien die derzeit am stärksten wachsende Wirtschaft der Welt sei, fehlten weiterhin Millionen von Jobs. Sein Land leide unter einer chronischen Unterbeschäftigung, sagt Usman. Auch deshalb versuche Indien mit allen Mitteln Arbeitsmöglichkeiten zu schaffen - auch wenn das bedeutet, dass Menschen, die teils noch nicht einmal lesen können, in einem Kriegsgebiet arbeiten.

Kein Schutz für Arbeiter bei Luftalarm

"Es ist eine schreckliche Doppelmoral", kritisiert Tapan Sen, der den Dachverband indischer Gewerkschaften CITU leitet. Auf der einen Seite sage der indische Staat: "Geht nach Israel" - auf der anderen Seite entledige er sich nicht nur seiner Verantwortung gegenüber den eigenen Bürgern, sondern mache sich auch noch mitschuldig, Palästinenser strukturell zu diskriminieren und ihnen die Lebensgrundlage zu nehmen.

Von Anfang an erreichen den Gewerkschafter Tapan Sen auch Beschwerden aus Israel. Arbeiter berichten von nicht ausgezahlten Löhnen, Überstunden oder fehlenden Sicherheitsvorkehrungen. Auch Rose Maxwell erzählt, dass es auf der Farm nahe der Grenze zum Libanon, wo Nibin eine Arbeit fand, keine vernünftigen Schutzbunker gegeben habe: "Sie sind einfach immer ins Haus gerannt, wenn es Luftalarm gab."

"Wir haben von Raketeneinschlägen gehört", sagt sie. "Mach dir keine Sorgen", habe Nibin ihr immer wieder versichert. "Hier sind überall Soldaten, die Raketen werden abgefangen."

Rose Maxwell am Grab ihres Sohnes in Kerala.

Rose Maxwell am Grab ihres Sohnes in Kerala.

Verschuldete indische Familien

Doch das Raketenabwehrsystem Iron Dome fängt nicht alles ab. Anfang März schlug eine Rakete der Hisbollah auf dem Feld ein, wo Rose Maxwells Sohn Nibin arbeitete. Er starb. Die Rakete zerfetzte seinen halben Körper.

Nivin Maxwell brachte die Leiche seines verstorbenen Bruders zurück nach Hause, nach Indien - nur um danach wieder nach Israel aufzubrechen. Seine Familie hat Schulden. Geld brauchen sie heute mehr denn je. Aber er fühle sich in Israel seinem toten Bruder auch näher, sagt Nivin. "Ich glaube, er ist hier immer mit mir."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der Weltspiegel am 28. Juli 2024 um 18:30 Uhr.