Ukrainische Flüchtlinge in Israel Neue Heimat, alte Konflikte
Dass ihre Länder Krieg gegeneinander führen, verfolgt Geflüchtete aus der Ukraine und Russland auch in Israel. Da, wo sie sich begegnen, herrscht häufig Misstrauen. Viele Ukrainer haben Israel inzwischen wieder verlassen.
Wenn im Kindergarten an der Jewish-Point-Synagoge im Herzen von Tel Aviv die Kinder rennen, lachen und Türme aus bunten Bauklötzen bauen, dann herrscht Russisch vor. Die Erzieherinnen sprechen mit den Kleinen auf Russisch - dies gibt den Kindern Halt, für die sich das Leben drastisch verändert hat.
Die Eltern seien wegen des Kriegs in der Ukraine aus Russland geflüchtet, sagt Kitaleiterin Maria Knyazher. Sie selbst ist vor sechs Jahren aus Moskau nach Israel eingewandert. Doch seit zwei Jahren hat sich vieles verändert. In der Gemeinde, die aus russischen und ukrainischen Mitgliedern besteht, spürt sie zunehmend Spannungen. Das hängt vor allem mit der starken Zunahme an Flüchtlingen aus Russland zusammen, während die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine drastisch zurückgeht.
Keine Aussichten auf die Staatsbürgerschaft
Laut israelischer Regierung sind seit Ausbruch des Krieges im Frühjahr 2022 rund 50.000 Männer und Frauen aus der Ukraine als Flüchtlinge ins Land gekommen. Davon befinden sich aktuell noch knapp 15.000 im Land, vor allem Frauen und Kinder. Sie haben, weil sie keine Juden sind, kaum die Möglichkeit, die israelische Staatsbürgerschaft zu beantragen.
Viele Flüchtlinge haben Israel wieder den Rücken gekehrt, weil es für sie von staatlicher Seite harte Auflagen gibt. So ist es für Flüchtlinge äußerst schwierig, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Ebenso können sie in vielen Fällen keine Krankenversicherung abschließen. Ausnahmen gibt es hier für Senioren ab 60 Jahren.
Viele Frauen und Kinder mussten deshalb in schlechten Wohnverhältnissen leben, ohne Aussicht auf Verbesserung. Zahlreiche ukrainische Frauen fielen in die Prostitution. Der israelische Staat unterstützt die Flüchtlinge zwar mit Lebensmitteln und Kleidung. Die finanzielle Unterstützung fällt dagegen sehr gering aus. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind daher entweder in ein anderes Land gezogen oder in die Ukraine zurückgekehrt.
Mehr Russen, weniger Ukrainer
Wie sehr die Zahl der Flüchtlinge aus der Ukraine zurückgegangen ist, zeigt sich nach Angaben der Migrantenorganisation Jewish Agency im ersten Quartal des Jahres. Von Januar bis März dieses Jahres wanderten nur noch 861 Ukrainer nach Israel ein, ein Rückgang von 87 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Anders die Zahlen der russischen Flüchtlinge. Hier kamen zwischen Januar und März dieses Jahren 18.610 Einwanderer in Israel an. Ein Anstieg von fast einem Viertel gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Die Zuwanderung aus Russland machte dabei mehr als drei Viertel der Gesamtzuwanderung ins Land aus. Viele Russen sind aus ihrem Land geflohen, um nicht in die Armee für den Krieg gegen die Ukraine eingezogen zu werden, ebenso wegen der harten Einschränkungen der Menschenrechte durch das Putin-Regime.
Flucht vor dem Krieg in der Ukraine - Israel erwies sich für viele Geflüchtete als ein schwieriges Aufnahmeland.
Vorbehalte in der Gemeinde
Auch den aus der Ukraine stammenden Rabbi der Jewish-Point-Synagoge, Yosef Hersonski, erreichen immer mehr Anfragen von aus Russland geflüchteten Eltern, die auf der Suche nach einem Kindergartenplatz sind. Im teuren Tel Aviv fast ein Ding der Unmöglichkeit, sagt der Mann im weißen T-Shirt, Shorts und mit einer orangefarbenen Kippa auf dem Kopf.
Kurzerhand beschloss Rabbi Hersonski, einen eigenen Kindergarten zu gründen, der auch für Flüchtlinge aus Russland offen ist. Religion ist kein Muss. 90 Prozent der Kinder kommen derzeit aus Russland. Nicht alle in der Gemeinde unterstützen das, sagt er.
Hass soll nicht geduldet werden
Der Krieg habe die Dinge auch in Israel auf den Kopf gestellt, fügt Rabbi Hersonski an. In der Gemeinde gebe es bei den Ukrainern oft große Wut auf russische Flüchtlinge. Immer wieder müsse er erklären, dass die nach Israel geflüchteten Russen gegen den Krieg seien.
Er selbst, so Rabbi Hersonski, ziehe eine rote Linie innerhalb der Gemeinde. Hass werde nicht geduldet. Hersonski hat selbst länger in Moskau gelebt, ist mit der Mentalität vertraut. Vor sechs Jahren wurde er aus Russland ausgewiesen. Dennoch wolle er alle Menschen mit einem Lächeln aufnehmen, sagt er.
Nach Russlands Angriff auf die Ukraine demonstrierten in Tel Aviv Kriegsgegner vor der russischen Botschaft.
Ort der Begegnung und der Kontakte
Er geht vom Erdgeschoss der Synagoge in die oberen Stockwerke des vierstöckigen Hauses im Stadtzentrum. Hier wird kräftig gebaut.
Stolz zeigt Rabbi Hersonski den Baufortschritt im Gemeindezentrum. Eine neue Synagoge entsteht, ebenso Co-Working-Räume. Sogar einen eigenen Raum für Zoom-Schalten soll es geben, damit die russischen und ukrainischen Flüchtlinge mit ihren Familien in der fernen Heimat Kontakt halten können. Auch eine Küche ist eingeplant.
Leben, arbeiten und beten - aus Platzmangel ist Rabbi Hersonski mit der ganzen Synagoge und seinem Projekt umgezogen. Schon im September sollen hier zwei- bis dreimal so viele Kinder unterkommen, und es soll auch eine Nachmittagsbetreuung für Schulkinder eingeführt werden. Für Kinder aus Russland und der Ukraine.