Urteil erwartet Müssen Israels Ultraorthodoxe bald in die Armee?
Noch müssen ultraorthodoxe Israelis keinen Wehrdienst leisten. Weil es dafür keine Rechtsgrundlage gibt, forderte die Justiz bis Ende März ein Gesetz, das aber noch nicht vorliegt. Fällt nun das Privileg für die Ultraorthodoxen?
Ab Montag muss Israels Regierung die Finanzierung von ultraorthodoxen jungen Männern einstellen, die in Jeschiwas - streng religiösen Seminaren - studieren und nicht in die Armee eintreten. Diese einstweilige Anordnung des Obersten Gerichtshofs, die am Donnerstagabend erlassen wurde, sorgt für heftige innenpolitische Reaktionen.
Vertreter der beiden ultraorthodoxen Parteien, Vereinigtes Thora-Judentum und Shas, warfen dem Obersten Gerichtshof eine "noch nie dagewesene Hetzjagd auf die Thora-Gelehrten im Staat der Juden" vor. Das Urteil sei eine Schande. Man werde keine Kompromisse eingehen.
Die beiden Parteien sind Koalitionspartner in der Regierung von Premierminister Benjamin Netanyahu und lehnen die Einziehung junger Jeschiwa-Studenten in die Streitkräfte seit Jahrzehnten grundsätzlich ab.
Zwei Studenten einer Jeschiwa bei Tel Aviv.
Seit Staatsgründung von Wehrdienst befreit
Seit der Staatsgründung Israels sind junge ultraorthodoxe Männer von der Wehrpflicht mehr oder minder befreit. Es ist ein Privileg, das ihnen Staatsgründer Ben Gurion damals verliehen hatte und das in Zeiten des Gaza-Kriegs von der säkularen Bevölkerung zunehmend infrage gestellt wird. Die säkulare Bevölkerung trägt unter anderem die Hauptlast des Wehr- und Reservedienstes in den Streitkräften sowie die Steuerlast.
Der ehemalige israelische Justizminister Daniel Friedman, der lange Jahre Jura an der Universität Tel Aviv unterrichtet hat, gab im öffentlich-rechtlichen Radiosender zu bedenken: "Der Staat Israel schafft eine ultraorthodoxe Kultur, die es in dieser Form nirgendwo anders auf der Welt gibt, in der die Jeshiwa-Anführer eine durch den Staat verliehene Herrschaft über ihre Bevölkerungsgruppe besitzen."
Koalitionsbruch im Streit um Ultraorthodoxe
Der Oberste Gerichtshof hatte die Regierung Netanyahu schon vor mehr als sechs Jahren aufgefordert, ein neues Wehrpflichtgesetz vorzulegen. Die Begründung: Für die bisherige Praxis der faktischen Wehrdienstbefreiung von jungen ultraorthodoxen Männern gebe es keine Rechtsgrundlage.
Als Netanyahu damals die Privilegen für die Ultraorthodoxen fortschreiben wollte, trat sein damaliger Koalitionspartner, Avigdor Lieberman, aus der Koalition aus. Die Folge war eine Serie von Neuwahlen.
Justizreform, um Privilegien zu schützen
Als schließlich im Dezember 2022 Netanyahu eine neue Koalitionsregierung mit den beiden ultraorthodoxen Parteien Vereinigtes Thora-Judentum und Shas sowie den zwei rechtsextremen Parteien von Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich einging, richtete sich das Hauptaugenmerk der neuen Regierung auf den Obersten Gerichtshof.
Es gebe, so schreibt Carolina Landsmann in der Freitagsausgabe der Zeitung Ha’aretz, einen klaren Zusammenhang zwischen der sogenannten Justizreform und der Wehrpflicht für Ultraorthodoxe: Es sei der Regierung Netanyahu klar gewesen, "dass jedes ungleiche Wehrpflichtgesetz vom Obersten Gerichtshof gekippt werden würde".
Deshalb habe sie sich an die Änderung der Befugnisse des Obersten Gerichtshofs gemacht. Das Ziel sei klar gewesen: "Nach der Verabschiedung verfassungswidriger Gesetze, wie der pauschalen Befreiung ultraorthodoxer Jeschiwa-Studenten vom Armeedienst, war ein Gesetz erforderlich, das es der Knesset ermöglicht, Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs außer Kraft zu setzen." Doch dazu kam es noch nicht.
Oberstes Gericht gab letzten Aufschub
Als im Juni 2023 immer noch nichts in Sachen Wehrpflichtreform geschehen war, gab der Oberste Gerichtshof der Regierung einen letzten Zeitaufschub, bis Ende März 2024 ihren Entwurf vorzulegen. Danach würde der bisherige Zustand ersatzlos beendet werden.
Dieses Szenario blüht jetzt der Regierungskoalition des Premierministers. Bis Donnerstagnachmittag hatte Netanyahu trotz intensivster Verhandlungen mit den beiden ultraorthodoxen Parteien keine Einigung erzielt.
Drohung mit Ende der Koalition
In den Tagen zuvor zirkulierte ein Gesetzentwurf, der die Privilegien der ultraorthodoxen Bevölkerung - derzeit etwa 13 Prozent der zehn Millionen Einwohner Israels - noch einmal deutlich ausgeweitet hätte. Sowohl Verteidigungsminister Yoav Gallant als auch Minister Benny Gantz, Ex-Armeechef und Vorsitzender der Partei Nationale Einheit, hatten daraufhin massive Kritik geübt. Einer solchen Regierung würden sie nicht mehr angehören wollen.
Gantz sagte in einer Videobotschaft in dieser Woche: "Ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das die Regierung so verabschieden will, wird der Einigkeit (im Volk) und der Sicherheit (des Staates) schaden. Hier ziehen wir eine rote Linie. Meine Parteimitglieder und ich können nicht einer Regierung angehören, die solch ein Gesetz in Zeiten des Krieges verabschiedet."
Urteil am Sonntag?
Nach der einstweiligen Anordnung des Obersten Gerichtshofs, die staatlichen Subventionen für ultraorthodoxe Männer im wehrpflichtigen Alter ab dem 1. April zu streichen, steht in der Hauptsache das Urteil noch aus, ob junge ultraorthodoxe Männer ebenfalls der Wehrpflicht unterliegen.
Dieses Urteil kann bereits am Sonntag erfolgen. Es sei denn, das Gericht entspricht der Bitte Netanyahus um einen weiteren Zeitaufschub von 30 Tagen.