Kandidat für den Expertenrat wählt in Teheran
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Urnengang im Iran Boykottierte Wahl-Show

Stand: 02.03.2024 17:51 Uhr

Die Iraner sollten ein neues Parlament und den Expertenrat wählen. "Sollten", denn wohl die Mehrheit blieb fern - vor allem aus Protest. Denn die Wahlen sind eine große Show unter der Regie des Regimes.

Ein Kommentar von Karin Senz, ARD Istanbul

Gespannt wartet man im Westen auf erste offizielle Zahlen zu den Wahlen im Iran - herausgegeben von einem Regime, dem man sonst kaum ein Wort glaubt. In ersten Meldungen von regierungsnahen Nachrichtenagenturen ist jetzt von 41 Prozent Wahlbeteiligung die Rede.

Aber diese Daten sind nicht nur nicht überprüfbar - sie sind hier schlicht nicht relevant. Denn das ganze Umfeld der Wahl hat mit westlichen Standards wenig zu tun.

Ein Meinungsforschungsinstitut im Ausland hat wohl im Vorfeld bei einer Onlineumfrage eine Wahlbeteiligung von nur 25 Prozent ermittelt. Das kann aber auch nur eine grobe Orientierung sein, da es bei solchen Umfragen schon zum Schutz der Befragten diverse Hürden gibt.

Regime will Temperatur der Gesellschaft messen

Die Ergebnisse der aktuellen Wahlen sind nur für eine einzige Seite wirklich entscheidend - nämlich für das Regime selbst. Nur das hat die echten Daten vorliegen.

Und das ist wohl einer der wichtigsten Gründe, warum die Führung in Teheran überhaupt diesen immensen Aufwand einer Wahl-Show betreibt. Landesweit hat der zuständige Wächterrat angeblich mehr als 20.000 Bewerberinnen und Bewerber - ja, man kann sagen - gecastet.

Natürlich will man sich auch den Anstrich einer demokratischen Republik geben. Schließlich heißt es Islamische Republik Iran - und zu einer Republik gehören Wahlen. Aber diese Wahlen sind für die Führung einfach die beste Chance, das Fieberthermometer in die Gesellschaft zu halten und ihre Temperatur zu messen.

Der Wahlboykott als einzige Möglichkeit

Und die ist hoch, das hat sich nach dem Tod der jungen Iranerin Jina Mahsa Amini im September 2022 gezeigt. So etwas will das Regime nicht mehr erleben. Mit einem Mal haben sich Wut und Verzweiflung vor allem der jungen Menschen im Iran entladen. Das Regime hat die Proteste auf den Straßen nach Monaten nur dadurch in den Griff bekommen, indem es brutal dagegen vorgegangen ist und Teilnehmer nach Todesurteilen hingerichtet hat - eine wirkungsvolle Abschreckung.

Viele von denen, die damals auf die Straße gegangen sind, sind heute nicht nur desillusioniert, sondern auch depressiv. Sie sehen keine Chance, in ihrem Land irgendwas zu verändern, ob durch Proteste oder Wahlen. Selbst wenn der Wächterrat Kandidatinnen oder Kandidaten aus dem Lager der Reformer zugelassen hätte, für sie hätte das wenig geändert, in ihren Augen stellen sie keine echte Opposition dar. Der Wahlboykott scheint das Einzige, was ihnen geblieben ist.

Anhand einer Identifikationsnummer, die jeder Iraner hat, können die Behörden sehen, wer zur Wahl gegangen ist - und wer nicht. Ein Druckmittel, da keiner die Konsequenzen eines Boykottes kennt.

Aber die Auswertung muss der Führung Angst machen. Denn es sind wohl vor allem die jungen Iranerinnen und Iraner, die sich von den alten Männern mit Turban und langer Kutte nicht vertreten fühlen. Für sie müssen die Mullahs wie aus einem staubigen Geschichtsbuch wirken, die mit ihrer eigenen, hippen Wirklichkeit nichts zu tun haben, auch wenn sie die nach wie vor nur zu Hause und auf Social Media wirklich ausleben dürfen.

Führung unter Druck

Die Wahlen bringen die Führung in Teheran unter Druck, auch wenn sie sich das nach außen nicht anmerken lässt. Denn es gibt den Tag X, an dem der Oberste Führer Ayatollah Ali Chamenei abtritt oder stirbt. Bei den Wahlen sollten die Iraner auch Mitglieder für ein Gremium bestimmen, den Expertenrat, das dann über seinen Nachfolger entscheidet. Schwer vorstellbar, dass die jungen Menschen ein "Weiter so nur mit neuem Kopf“ akzeptieren würden.

Das wissen auch die Drahtzieher in Teheran. Auch anhand der aktuellen Wahlergebnisse dürften sie an einem Plan sitzen, mit einem geeigneten neuen Obersten Führer eine Eskalation am Tag X mit allen Mitteln zu verhindern. Aber ob dieser Plan aufgeht?

Die Iran-Experten Katajun Amirpur erklärt im Deutschlandfunk, dass eine Mehrheit der Bevölkerung keine Systemreformen will, sondern das Ende der Islamischen Republik.

Und das Regime weiß, früher oder später wird es sich dem stellen müssen. Die greisen Mullahs mit ihren zweifelhaften Wertvorstellungen wirken auf viele der lebenshungrigen jungen Iranerinnen und Iraner nur noch abstoßend.

Karin Senz, ARD Istanbul, zzt. Teheran, tagesschau, 02.03.2024 17:18 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 02. März 2024 um 19:05 Uhr.