Die Seiten eines Korans liegen in den Trümmern des Christendorfes Aitou im Libanon.
reportage

Luftangriff im Nordlibanon Als der Krieg ins kleine Aitou kam

Stand: 22.10.2024 10:50 Uhr

Aitou liegt im bergigen Norden des Libanon. Für die Menschen im Ort schien der Krieg weit weg. Bis Israel auf der Jagd nach einem Hisbollah-Geldboten einen Luftangriff anordnete.

Von Martin Durm, SWR, ARD-Studio Beirut

Weiter weg von der Front und den Kämpfen im Süden des Libanon geht eigentlich nicht: Die Kleinstadt Aitou liegt in den Bergen im Norden des Landes, inmitten von Wäldern und Olivenhainen. Es ist eine friedliche Gegend, bewohnt von maronitischen Christen, an fast jeder Straßenecke steht eine Heiligenstatue.

Vor rund einer Woche, am 14. Oktober, raste nachmittags plötzlich ein israelischer Kampfjet über Aitou hinweg und warf seine Bombenlast auf ein dreistöckiges Wohnhaus. Nichts ist übrig geblieben von dem, was hier einmal war: Nur Trümmer, zersplitterte Möbel, Kleiderfetzen und Staub. Alles, was Menschen im Leben mit sich herumschleppen an Habseligkeiten - Wolldecken, Waschbeutel, Kinderspielzeug - liegt über den Boden verstreut wie Müll.

"Ich war wie gelähmt"

"Es war furchtbar", sagt Mireille, eine Nachbarin, die nur 50 Meter entfernt wohnt. "Wir kannten die Familien, die da drüben lebten. Ich war wie gelähmt von der Detonation, konnte nicht hingehen."

Ein zerstörtes Auto nach einem israelischen Angriff im libanesischen Aitou.

Ein zerstörtes Auto nach einem israelischen Angriff im libanesischen Aitou.

Erst am nächsten Tag sei sie dazu in der Lage gewesen. Da haben immer noch Leichen unter den Trümmern gelegen, erinnert sie sich weiter. "Es hat Leute in Stücke gerissen, im Umkreis von 20 Metern hingen Teile von ihnen in den Bäumen. Es war das erste Mal, dass ich so etwas sah."

Das ausgebombte Haus gehörte Elie Alwan, einem nahen Verwandten Mireilles. Er hatte es an eine schiitische Flüchtlingsfamilie aus dem Süden vermietet. Erst zogen zehn Leute ein, dann kamen zwölf weitere dazu - ältere Männer, Frauen und Kinder.

Es gab keine Probleme mit den Schiiten

Es gab keine Probleme mit den schiitischen Mietern im von Christen bewohnten Aitou. Am 14. Oktober hielt nachmittags ein Wagen vor dem Haus, ein Mann stieg aus - angeblich ein gewisser Ahmed Faquih aus dem Süden Beiruts. Mireille erinnert sich an den Moment danach:

Ich hörte nur den Einschlag. Es kam ohne jede Vorwarnung.
Mireille aus Aitou

23 Menschen starben, unter ihnen auch Ahmed Faquih. Er soll ein wichtiger Geldbote der Hisbollah gewesen sein. Seine Aufgabe bestand darin, den Familien der im Süden kämpfenden Milizionäre die Monatsgehälter vorbeizubringen.

Zerstörung im libanesischen Christendorf Aitou nach einem israelischen Angriff.

Zerstörung im libanesischen Christendorf Aitou nach einem israelischen Angriff.

Die Einwohner Aitous wussten von all dem nichts. Der Krieg in Gaza, die Tatsache, dass die Hisbollah die Hamas unterstützt, schien sie nichts anzugehen. Und der Krieg im eigenen Land, der bislang nur den Süden, die Bekaa-Ebene und Beirut erfasste, schien weit genug weg. Nun sind auch sie in der Todeszone.

"Wir wollen keinen Krieg"

Ein älterer Mann klettert über das Trümmerfeld. Er sagt, er sei der Bruder des Hausbesitzers, er heiße Zarki Salwan. "Wir wollen das nicht, wir wollen keinen Krieg, wir sind friedfertige Leute", versichert er ein ums andere Mal.

Und Mireille sagt: "Das ist einfach zu viel. Weißt Du, wir kennen so etwas nicht. Wir leben hier in Frieden, wir lieben unsre Wälder, wir gehen wandern, wir schicken unsre Kinder in die Schule oder auf die Universität. Wir haben nichts mit Politik zu tun."

Aber was hilft es? Spätestens seit dem Angriff auf Aitou ist klar, dass die israelischen Streitkräfte auch noch den letzten Winkel des Libanon bombardieren, um Funktionsträger der Hisbollah zu töten. Dass es dabei auch sogenannte Kollateralschäden gibt, nimmt die israelische Regierung in Kauf. Mit dem Geldboten Faqih starben auch zwölf Frauen und zwei Kinder.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 22. Oktober 2024 um 05:49 Uhr.