Gazastreifen Wachsende Sorge um die Lage in den Krankenhäusern
Seit Samstag ist das größte Krankenhaus im Gazastreifen, die Al-Schifa-Klinik, nach palästinensischen Angaben betriebsunfähig. Ärzte berichten von verheerenden Zuständen - und werfen Israel vor, die Klinik anzugreifen. Israel weist das zurück.
In den Krankenhäusern im Gazastreifen wird die Lage immer dramatischer. Sollten die Kämpfe nicht gestoppt oder zumindest die Patienten evakuiert werden, "werden diese Krankenhäuser zu Leichenhallen", erklärte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. Inzwischen sind nach Angaben des UN-Büros für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) 20 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen "nicht mehr funktionsfähig".
Die Lage in der Al-Schifa-Klinik, dem größten Klinikkomplex in dem Küstengebiet, sei "katastrophal", erklärte Ärzte ohne Grenzen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte nach Angaben ihres Chefs, Tedros Adhanom Ghebreyesus, zwischenzeitlich den Kontakt zu seinen Gesprächspartnern im Al-Schifa-Krankenhaus verloren. Mittlerweile sei dieser aber wieder hergestellt worden, teilte Tedros am Abend auf der Plattform X mit. "Leider funktioniert das Krankenhaus nicht mehr als Krankenhaus", schrieb er. Es gebe seit drei Tagen unter anderem keinen Strom und kein Wasser mehr.
Netanyahu: Israel bot Treibstoff an
Am Samstag hatte das von der Hamas kontrollierte palästinensische Gesundheitsministerium erklärt, das Al-Schifa-Krankenhaus habe seinen Betrieb einstellen müssen, weil der Treibstoff für die Stromgeneratoren ausgegangen sei.
Nach den Worten von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bot Israel dem Al-Schifa-Krankenhaus an, Treibstoff zu liefern. Dies habe die Hamas abgelehnt, sagte er dem US-Sender NBC. Details nannte Netanyahu nicht. Israel hatte zuvor Treibstoffimporte in den Gazastreifen mit dem Argument verboten, dass die Hamas den Treibstoff für militärische Zwecke verwenden würde.
Klinikchef spricht von Diffamierung
Das israelische Außenministerium hatte berichtet, die im Gazastreifen herrschende Hamas habe die Klinik daran gehindert, 300 Liter Treibstoff zu nutzen, die israelische Soldaten am Samstagabend in Behältern neben dem Krankenhaus abgestellt hätten.
Der Leiter des Schifa-Krankenhauses, Mohammad Abu Salamia, bezeichnete das als "Lüge und Diffamierung". Er wies die Berichte über die abgestellten Behälter zwar nicht zurück. Er sagte jedoch, diese Menge würde "keine Viertelstunde" für den Betrieb der Krankenhausgeneratoren reichen.
Außerdem befürchte das Team, beschossen zu werden, wenn es die Klinik verlasse, um die Behälter zu nehmen. Wenn Israel wirklich Treibstoff liefern wollte, hätte es diesen in Kooperation mit dem Roten Kreuz oder einer anderen internationalen Organisation schicken können, sagte der Klinikchef.
Wie der palästinensische Rote Halbmond mitteilte, ist ein weiteres Krankenhaus in der Stadt Gaza, die Al-Kuds-Klinik, wegen Treibstoffmangels nicht mehr betriebsfähig. Nach Angaben eines Arztes ist das Al-Ahli-Krankenhaus die einzige Klinik in der Stadt Gaza, die noch im Betrieb sei. Aber auch da sei die Lage dramatisch: "Heute habe ich mehr als zehn sehr schmerzhafte chirurgische Eingriffe an Menschen ohne Anästhesie durchgeführt", sagte Ghassan Abu Sitta laut Nachrichtenagentur dpa. Blutkonserven gebe es auch keine mehr.
Graue Flächen: Bebaute Flächen im Gazastreifen
WHO besorgt wegen Lage in Al-Schifa-Klinik
Zur Lage im Al-Schifa-Krankenhaus teilte das Regionalbüro der WHO mit, man mache sich "große Sorgen um die Sicherheit des medizinischen Personals, Hunderter kranker und verletzter Patienten". Darunter seien auch Säuglinge, die lebenserhaltende Maßnahmen benötigten, sowie Vertriebene, die in dem Gebäude Schutz suchten. "Berichten zufolge ist die Zahl der stationären Patienten fast doppelt so hoch wie die Kapazität des Krankenhauses, selbst wenn die Leistungen auf lebensrettende Notfallversorgung beschränkt werden", hieß es.
Nach Angaben eines im Schifa-Krankenhaus arbeitenden Arztes wurde weiter heftig in unmittelbarer Nähe der Klinik gekämpft. "Wir können kaum die Patienten im Krankenhaus behandeln und sind mitten im Kriegsgebiet", sagte der Mediziner Ahmed Muchallalati dem Nachrichtensender Al-Dschasira.
"Es gibt laufend Luftangriffe, und Drohnen kreisen in der Gegend des Krankenhauses." Die medizinische Versorgung von Patienten sei mangels Strom, Wasser und Medikamenten fast zum Erliegen gekommen. Mehrere Patienten seien deshalb bereits gestorben. Die Angaben ließen sich nicht überprüfen.
Israel bestreitet Angriff und Umzingeln
Der stellvertretende Gesundheitsminister im von der Hamas beherrschten Gazastreifen, Jussef Abu Risch, sagte, ein israelischer Angriff habe die kardiologische Abteilung des Al-Schifa-Krankenhauses "vollständig" zerstört. Israelische Panzer würden zudem das Krankenhaus komplett umzingeln.
Israel wirft der Hamas vor, unter dem Krankenhaus eine Kommandozentrale zu betreiben - dementierte aber Vorwürfe über Angriffe. "In den vergangenen Stunden wurden Falschinformationen verbreitet, wir würden das Al-Schifa-Krankenhaus umzingeln und angreifen. Dies sind falsche Berichte", sagte Armeesprecher Daniel Hagari am Samstag. Die Armee bestätigte lediglich, Kämpfe in der Nähe der Klinik zu führen. Zudem sei das Militär "regelmäßig" in Kontakt mit dem Krankenhauspersonal, so Hagari.