Sri Lanka in der Krise "Bin von meiner Lage angewidert"
Seit Monaten steckt Sri Lanka in der Krise. Nach dem Rücktritt des Präsidenten hoffen die Menschen, dass jemand das Land in eine bessere Zukunft führt. Bis dahin müssen sie irgendwie mit der Not klarkommen.
Seit sieben Tagen hat Mohamad Safar sein Tuk-Tuk nicht von der Stelle bewegt. Der 42-jährige Familienvater steht in der kilometerlangen Schlange vor der Tankstelle in Sri Lankas Hauptstadt Colombo. Vor einer Woche hieß es, dass eine neue Benzinlieferung kommen werde - seitdem wartet er hier Tag und Nacht. Vergeblich.
"Ich bin von der Situation im Land angewidert. Und auch von meiner eigenen Lage", sagt er. "Ich habe kein Benzin, ich habe kein Essen." So gehe es den meisten Menschen im Land. "Täglich komme ich vielleicht ein bis zwei Stunden nach Hause. Den Rest der Zeit verbringe ich hier auf der Straße."
Weil er kein Benzin besitzt, um Gäste zu transportieren, hat seine Familie so gut wie keine Einnahmen. Das Kochgas ist längst ausgegangen. Seit Wochen bereitet seine Frau Razeema das Essen auf offener Flamme zu. Nun werden auch die Lebensmittel im Sechs-Personen-Haushalt langsam knapp. "Wir leiden sehr. Wir können weder die Wasser-, noch die Stromrechnung zahlen", sagt Razeema. Dazu kämen noch andere Ausgaben. "Im Moment schaffen wir es gerade mal, ganz einfache Mahlzeiten auf den Tisch zu stellen."
Auch die drei Kinder bekommen die Auswirkungen der Krise zu spüren. Sie können zurzeit nicht in die Schule gehen. Selbst für Lehrer bestehen kaum Transportmöglichkeiten. Und so bleiben die meisten Schulen in Sri Lanka seit Wochen geschlossen. "Wir sind so einsam. In der Schule können wir etwas lernen und mit Freunden spielen", sagt Safars jüngster Sohn Anas. Wie lange die Schulen zu bleiben, ist derzeit noch nicht klar.
Das Vertrauen in die Politik ist weg
Die Krise hat Sri Lanka seit Monaten im Griff. Tausende Menschen demonstrieren deshalb seit nunmehr 100 Tagen gegen die Regierung. Am vergangenen Wochenende entlud sich die Wut der Bevölkerung in Massenprotesten. Am Samstag stürmten die Demonstranten den Präsidentenpalast, am Mittwoch das Büro des Premierministers.
Auch wenn der ehemalige Präsident Gotabaya Rajapaksa inzwischen seinen Rücktritt bekannt gab und ins Ausland flüchtete, kleben viele Spitzenpolitiker weiter an ihren Posten. So wie der bisherige Premierminister Ranil Wickremsinghe. Er hat das Amt des Präsidenten kommissarisch übernommen. Nun scheint er Ambitionen zu haben, es weiterführen zu wollen. Obwohl er beim Volk längst in Ungnade gefallen ist.
"Die Menschen haben ja gar keine andere Option als wütend zu sei. Sie sind enttäuscht, angewidert. Deshalb gehen sie auf die Straßen", sagt Paikiasothy Saravanamuttu, Gründer des Zentrums für Politische Alternativen in Colombo. "Doch was macht die Regierung? Sie sagen nur, dass da eine Gruppe von Faschisten demonstriert, um ihnen die Macht wegzunehmen."
Sri Lanka braucht einen Neuanfang
Saravanamuttu beschäftigt sich seit mehreren Jahrzehnten mit der Politik Sri Lankas. Misswirtschaft, Korruption und ständige neue Milliardenkredite hätten das Land in den Ruin getrieben, so dass es nun quasi bankrott sei. Was der Inselstaat dringend brauche, sagt der politische Analyst, sei ein Neuanfang mit Politikern, die bereit seien, das System von Grund auf zu erneuern.
"Wir müssen es schaffen, unsere Mentalität zu ändern. Wir brauchen umfangreiche Wirtschaftsreformen. Das alles wird eine riesige Herausforderung. Aber ohne Hoffnung, ohne den Willen, wirklich anzupacken, werden wir hier nicht vorankommen", sagt er.
"Keiner stellt mich an"
Zurück in der Tankschlange, wo Safar noch immer auf Benzin wartet. Es ist Nacht geworden. Wieder einmal haben die Versprechungen nicht gestimmt, wieder einmal kam kein Nachschub. Mit jedem weiteren Tag ohne Sprit verliert er immer mehr an Zuversicht. "Benzin bedeutet für uns, dass wir Geld einnehmen können. Wir brauchen das. Es ist unsere einzige Chance. Wir finden woanders keinen Job, keiner stellt mich an. Das ist die Situation, in der wir hier leben", sagt er.
Seine einzige Hoffnung für die Zukunft: dass ein neuer Präsident, der schon am Mittwoch vom Parlament gewählt werden könnte, endlich eine Lösung für die Krise findet.