Steinmeier in Kambodscha Basisdiplomatie auf schwierigem Terrain
Deutschland hat kaum Verbindungen zum autoritär regierten Kambodscha. Doch spätestens seit Russlands Überfall auf die Ukraine sucht Berlin auch in Asien nach neuen Partnern - auch, wenn diese Suche voller Ambivalenzen ist.
33 Grad, Luftfeuchtigkeit von mehr als 70 Prozent. Dass Kambodscha sehr anders ist als Deutschland, merkt man schon auf den ersten Metern. Eine schweißtreibende Angelegenheit ist diese Besuchspremiere eines deutschen Bundespräsidenten in dem südostasiatischen Land. Kein Bundeskanzler, keine Kanzlerin war jemals offiziell hier zu Besuch.
Frank-Walter Steinmeier krempelt die Ärmel hoch und zieht eine metallbeschwerte blaue Schutzweste über. Ein Helm mit einem langen Visier soll sein Gesicht schützen. Denn in der Nähe von Siem Reap im Norden von Kambodscha liegen immer noch Landminen und andere gefährliche Hinterlassenschaften aus der Zeit im Boden, als das Land in Chaos und Bürgerkrieg versank.
Die langen Nachwirkungen der Terrorherrschaft
In den 1970er-Jahren hatten die Roten Khmer, die mit Gewalt einen kommunistischen Agrarstaat errichten wollten, eine Terrorherrschaft errichtet. Menschen wurden vertrieben, ausgehungert, zu Zwangsarbeit genötigt, gefoltert, ermordet. Schätzungen gehen von rund zwei Millionen Toten aus - einem Fünftel der Bevölkerung. Der Genozid überschattet bis heute das Land.
Im berüchtigten Foltergefängnis Tuol Sleng in Kambodschas Hauptstadt Phnom Penh werden Steinmeier und seine Frau am nächsten Tag erschüttert einem Überlebenden zuhören, der von der Brutalität der Aufseher berichtet. Viele seiner Mithäftlinge wurden ermordet. Und auch nach dem Ende des Regimes der Roten Khmer gab es lange keinen Frieden.
Deutschland hilft finanziell
Davon zeugen die Landminen, die auch heute noch Menschen verletzten. Bis 2025 will Kambodscha minenfrei sein: ein ambitioniertes Ziel - und kaum zu schaffen, heißt es von Verantwortlichen vor Ort. Aber es ist ein Ziel, das anspornt. Auch mit deutscher Finanzierung werden die handtellergroßen Sprengkörper in mühsamer Handarbeit aus dem Boden geholt. Mehr als die Hälfte der Minenräumer sind Frauen.
Auch der berühmte Tempel Angkor Wat wird mithilfe von deutschen Geldern und Fachleuten seit Jahren restauriert. Entwicklungshilfe leistet Deutschland ebenfalls schon lange.
Deutschland unterstützt die Restaurierung von Tempelanlagen im historischen Angkor. Hier besucht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier den Ta-Prohm-Tempel.
Wunsch nach neuen Partnerschaften
Ansonsten aber gibt es kaum relevante wirtschaftliche oder politische Verbindungen zu Kambodscha. Das Land in Südostasien ist stattdessen eng mit China verbandelt, das viel Geld in die Infrastruktur Kambodschas steckt. An der Südwestküste hat man eine gemeinsame Sonderwirtschaftszone aufgebaut. Letzte Woche erst war der kambodschanische Ministerpräsident Hun Sen zu Besuch in Peking und ließ zum wiederholten Mal wissen: "Auf wen soll sich Kambodscha verlassen, wenn nicht auf China."
Bundespräsident Steinmeier hätte da vielleicht einen Vorschlag. So zumindest lässt sich seine Reise verstehen. Basisdiplomatie auf schwierigem Terrain - die Zeitenwende macht’s nötig. Eine der großen Einsichten im vergangenen Jahr sei, betont er immer wieder, "dass einseitige Abhängigkeiten ungesund sind".
Russlands Überfall auf die Ukraine vor einem Jahr hat die Sichtweisen verschoben. Das Ziel ist es, neue Partnerschaften zu finden, gerade auch in Südostasien - wo es um Alternativen zu China bei Produktionsstätten, Absatzmärkten und in der Sicherheitspolitik geht. Auch wenn die Suche nach diesen voller Ambivalenzen ist.
Wechselfreudiger Gastgeber
In Kambodscha wird das besonders deutlich. Seit 1985 regiert Hun Sen das Land. Politisch durchaus wechselfreudig gilt er inzwischen als autoritärer Herrscher, der mit Blick auf die Parlamentswahlen im Juli versucht, seinen eigenen Sohn als Nachfolger zu etablieren.
Immerhin, in einem hat er die internationale Gemeinschaft überrascht: Obwohl er sich stark an China orientiert und gute Beziehungen zu Moskau pflegte, hat sich Hun Sen an die Seite der Ukraine gestellt und den russischen Angriffskrieg klar verurteilt.
Trübe Menschenrechtslage
Opposition, Menschenrechte, Pressefreiheit allerdings haben einen schweren Stand in Kambodscha. 2017 wurde die größte Oppositionspartei aufgelöst, führende Parteiverantwortliche wurden inhaftiert. Aktuell ist Kem Sokha, einer der damaligen Parteichefs zwar wieder frei - aber nur auf den ersten Blick: Kem Sohka ist wegen angeblichen Hochverrats angeklagt, im März soll das Urteil gegen ihn kommen. Politisch darf er sich derzeit nicht öffentlich äußern, das Gericht hat es verboten.
Deutschland, sagt er im Gespräch deshalb nur vorsichtig, müsse helfen, die Demokratie im Land wieder zu stärken. Der Besuch des Bundespräsidenten sei wichtig. Der will ein Zeichen setzen: Nach dem Ministerpräsidenten am Mittag, trifft sich Steinmeier mit Sokha in der deutschen Botschaft. Dort spricht er auch mit Vertreterinnen der Zivilgesellschaft.
Eine von ihnen ist Chhan Sokunthea vom Cambodian Center for Independent Media. Sie hofft, dass der Besuch des deutschen Präsidenten in Kambodscha etwas bewegt. Zuletzt sei die Situation für Medienschaffende immer schlechter geworden, erklärt sie hinterher sichtlich aufgewühlt und erschöpft den deutschen Journalisten. Ihre Organisation betrieb bis vergangene Woche den Radiosender "Voice of Democracy". Er gilt als unabhängig und regierungskritisch - und darf auf Geheiß des Ministerpräsidenten seit Montag nicht mehr senden.
Affront oder Gleichgültigkeit?
Man könnte es als Affront des kambodschanischen Regierungschefs gegenüber dem Bundespräsidenten sehen, dass diese pressefreiheitsfeindliche Aktion ausgerechnet mit Steinmeiers Besuch in Phnom Penh zusammenfällt. Oder Gleichgültigkeit - denn Deutschland hat aktuell einfach wenig zu sagen an diesem Ende der Welt. Steinmeier zeigt sich jedenfalls irritiert und lässt das seinen Gastgeber im persönlichen Gespräch wohl auch wissen.
"Wir dürfen uns keine Illusionen machen, wir sind verschieden", sagt er hinterher auf die Frage, wie erstrebenswert die Partnerschaft mit einem solchen Staat tatsächlich sei - Zeitenwende hin oder her.
"Aber die Verschiedenheit sollte uns nicht davon abhalten, zu prüfen, inwieweit es nicht auch gemeinsame Interessen gibt." Und er ergänzt: "Selbstverständlich gehört zur Feststellung der Verschiedenheit auch, dass dieses Land noch um seinen Kurs ringt." So bleibt die Reisediplomatie des Bundespräsidenten in Kambodscha besonders an diesem Tag ein schwieriger Spagat.