Proteste vor dem Parlament Sorge um Taiwans Demokratie
In Taiwans neuem Parlament hat die Opposition die Mehrheit, und sie will sie gleich für eine Reform der parlamentarischen Verfahren nutzen. Höhlt das die Demokratie aus? Der Protest in Taipeh ist laut und zahlreich.
In der taiwanischen Hauptstadt Taipeh haben sich am Dienstagabend Tausende Menschen zu einer Demonstration versammelt, um gegen eine geplante Parlamentsreform zu protestieren, die die beiden Oppositionsparteien KMT und TPP gemeinsam durchsetzen wollen. Beobachter sprechen von der größten Demonstration seit zehn Jahren in Taiwan.
Die Demonstranten stehen der Regierungspartei DPP des am Montag vereidigten taiwanischen Präsidenten Lai Ching-te nahe. Sie warnen vor einer drohenden Aushöhlung der Demokratie durch KMT und TPP.
Die Demonstranten kritisierten, dass die beiden Oppositionsparteien seit einigen Tagen versuchen, im taiwanischen Parlament gemeinsam Verfahrensreformen im Eiltempo durchzubringen - ohne größere Aussprachen und Debatten.
Geplant ist etwa eine Reform, mit der nach Ansicht der Demonstranten die Möglichkeiten der freien Rede im Parlament deutlich eingeschränkt würde. Auch wollen die beiden Oppositionsparteien die Befugnisse des neuen Präsidenten reduzieren.
Der Blick geht auch nach Peking
Mit Bezug auf die von KMT und TPP geplanten Verfahrens-Beschleunigungen skandierten zahlreiche Demonstrantinnen und Demonstranten den Schlachtruf "Keine Debatte? Dann beendet die Parlamentssitzung!" Der Spruch stand auch auf zahlreichen Plakaten, die die Menschen mitgebracht hatten.
Ein Vorwurf vieler Demonstranten: Die beiden Oppositionsparteien arbeiteten insgeheim mit der chinesischen Staats- und Parteiführung zusammen, um Taiwans Demokratie zu schwächen.
"Wenn es im Parlament nicht transparent zugeht, dann tötet das die Demokratie", so der Slogan auf einem Poster von zwei Studentinnen aus Taipeh.
Seit Jahren sind in Taiwan nicht mehr so viele Menschen auf die Straße gegangen - am Dienstagabend demonstrierten die Gegner des Gesetzes in Taipeh.
Begrenzte Macht
Die DPP stellt zwar mit Lai Ching-te den Präsidenten Taiwans, allerdings ist sie seit der Wahl im Januar nicht mehr die stärkste Partei im Parlament. Wenn sich dort die chinafreundliche KMT und die populistische TPP aus der Opposition zusammentun, können sie gemeinsam die DPP von Präsident Lai überstimmen.
"KMT und TPP wollen einfach innerhalb weniger Minuten mehrere Gesetze durchdrücken, das ist doch absurd", sagt ein Demonstrant, der sich als John vorstellt. "Wir machen hier jetzt deswegen das Gleiche wie vor zehn Jahren!"
Worauf der 35-jährige Demonstrant anspielt, sind die Proteste der sogenannten Sonnenblumen-Bewegung vor zehn Jahren. Im Frühjahr 2014 besetzten Hunderte Menschen das Parlamentsgebäude in Taipeh, um gegen die Politik der KMT zu protestieren. Viele der Demonstranten hatten damals Sonnenblumen dabei.
Bei der auf die Sonnenblumen-Bewegung folgenden Wahl im Jahr 2016 wurde die KMT abgewählt, sie sitzt seitdem in der Opposition.
Begründeter Verdacht - oder Panikmache?
Heute werfen die Anhänger des chinakritischen neuen Präsidenten Lai der KMT vor, mit den angestrebten Parlamentsreformen Taiwans Demokratie zu schwächen - und zwar absichtlich, um unterschwellig der kommunistischen Führung in Peking helfen zu wollen. Beide Parteien weisen das zurück und werfen der DPP Panikmache vor.
Nach Ansicht von Nick Marro von der Economist Intelligence Unit in Hongkong ist noch nicht absehbar, wie sich die Proteste entwickeln werden. Es gebe zwar Parallelen mit der Sonnenblumen-Bewegung 2014, sagt der auf Asien spezialisierten Analyst, so sängen etwa einige DPP-Anhänger die Protestsongs von damals. "Allerdings ist es angesichts der Sicherheitsvorkehrungen am Parlament unwahrscheinlich, dass die Demonstranten erneut das Gebäude stürmen", betont Marro.
Die DPP versuche sich mit den Protesten als Verfechterin einer sauberen und transparenten Regierungsführung in Taiwan zu profilieren.
In einer früheren Version dieses Textes hieß es, die DPP sei die stärkste Partei im Parlament. Das ist seit der Wahl im Januar nicht mehr der Fall.
Mehr zum Hintergrund dieser und anderer Korrekturen finden Sie hier: tagesschau.de/korrekturen