Wahlkampf in der Türkei Wo Erdogan weiter Vertrauen genießt
Kahramanmaras wird noch lange von den Folgen des Erdbebens in der Türkei gezeichnet sein. Die Hilfe lief nur schleppend an, und dennoch ist der Rückhalt für Präsident Erdogan hier unvermindert groß. Woran liegt das?
Das Erdbeben hat Kahramanmaras stark getroffen. Doch obwohl in der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz viele die Regierung für das anfangs schlechte Management in dieser Krise verantwortlich machen, gab es bei den Wahlen hier ein klares Ergebnis: Fast 72 Prozent stimmten für Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Kahramanmaras, das allgemein nur kurz Maras genannt wird, liegt in einem Kessel auf 549 Meter Höhe in den westlichen Ausläufern des Taurus-Gebirges. Das Jahrhundertbeben hat eine Schneise der Verwüstung durch die Großstadt gezogen; das Ausmaß der Zerstörung ist schon bei der Anfahrt auf die Stadt augenfällig.
Und zugleich ist Erdogan allgegenwärtig. Allein an der Einfahrtsstraße zum Stadtzentrum kommt man an einer etwa 100 Meter langen Plakatwand des türkischen Präsidenten vorbei.
40 Großporträts des Präsidenten sind dort aneinandergereiht: Erdogan als Visionär, Erdogan in Fliegermontur und gespiegelter Sonnenbrille als Oberbefehlshaber vor einem Schlachtschiff, Erdogan, der Mütter und Kinder küsst. Und auch in der Stadt begegnet man überall Bildern des Präsidenten, selbst in Wohnzimmerfenstern.
Und wo ist die Opposition?
Wahlwerbung der Oppositionsparteien dagegen: Fehlanzeige. Kurz vor der entscheidenden Stichwahl zum Präsidentenamt existiert die Opposition quasi nicht im öffentlichen Bild der Stadt.
Es ist eine schwierige Ausgangslage für Erdogans Rivalen Kemal Kilicdaroglu, der im ersten Wahlgang hier gerade mal 22 Prozent der Stimmen bekam, seine Partei bei den gleichzeitig abgehaltenen Parlamentswahlen nur 16 Prozent.
Jede Menge Versprechen
Auf dem Basar der Stadt ist dreieinhalb Monate nach der Katastrophe wieder der Alltag eingekehrt. Die Kleidungshändlerin Ülkü Kundaci berichtet aber, dass viele kleine Märkte nach dem Beben nicht mehr aufgemacht hätten. Viele Läden seien zudem geschlossen, Menschen weggezogen.
Kundaci sagt, sie wolle einen Wechsel an der Spitze des Landes, auch weil es wirtschaftlich so stark bergab gehe. Allein: Kundaci befürchtet, dass es anders kommt. Erdogan habe viel versprochen, und die Menschen in Maras glaubten daran. "Ich denke, dass Erdogan wiedergewinnen wird", sagt sie etwas resigniert.
Ungebrochenes Vertrauen
Einige Meter weiter ist die Stimmung ganz anders. Jusuf Bozdag ist überzeugter AKP-Wähler. Der Bäcker kritisiert die Parteien, die sich trotz großer Differenzen gemeinsam hinter Kilicdaroglu versammelt haben. Ein Parteienbündnis sei schlecht für das Land. "Die können nicht führen", sagt er, während er Brotteig in den Backofen schiebt. Er werde wieder Erdogan wählen.
Ganz in der Nähe führt Mustafa Demir ein kleines Restaurant. Schnell kommt man mit ihm und seinen Gästen ins Gespräch, schnell geht es um Politik, hier will jeder der Regierung, also Erdogan, die Stimme geben. Kleine Fehler gesteht man hier zu, aber Erdogan werde es schon richten, wie immer. "Gott segne unsere Regierung. Sie tut alles Notwendige", sagt Demir.
Die Umstehenden nicken. Alles ist gesagt, die Stimmung fast feierlich. Hier wird die Regierung mit der Nation gleichgesetzt. Ihren Versprechen wird geglaubt, den Versprechen der Opposition nicht.
Opposition auf verlorenem Posten
In einem Außenbezirk von Maras macht Ali Öztunc Wahlkampf, organisiert seine Kampagne aus einem kleinem Wahlcontainer. Der CHP-Politiker, ein enger Vertrauter Kilicdaroglus, ist über die Liste wieder ins Parlament eingezogen.
Auf den Straßen wird Öztunc von vielen freundlich gegrüßt. Er ist in Deutschland aufgewachsen, war lange Krisenreporter fürs türkische Fernsehen. Er kann mit Menschen, auch hier.
Öztunc will bis zum Wahltag weiter für seinen Kandidaten kämpfen, beklagt aber die ungleichen, teilweise unfairen Voraussetzungen. Erdogans AKP habe mit Staatsmitteln allein 150.000 Wähler, die aus dem Erdbebengebiet geflohen sind, mit Bussen und Bahn an die Wahlurnen gebracht, sie auch mit Geldgeschenken gelockt.
Teilweise hätten die Wähler, um Geld zu erhalten, auch die Wahlzettel mit der Stimme für Erdogan abfotografieren müssen, sagt Öztunc. Seine Partei konnte nur 7500 Erdbebenopfer an die Wahlurnen bringen. Eine Geldfrage also? Erdogan benutze die Mittel des Staates "ungebremst", meint Öztunc.
Kritik nur unter vorgehaltener Hand
Im Zentrum von Maras dann die Begegnung mit einem Bauunternehmer. Er organisiert gerade den Abriss eines stark beschädigten, vormals zwölfstöckigen Hauses mit Baggern und weiterem schweren Gerät. Eisenteile und Elektronik werden getrennt. An dieser Stelle, sagt er, seien 60 Menschen gestorben, Baupfusch.
Er sei von Anfang an bei den Rettungseinsätzen dabei gewesen, habe versucht zu helfen. Aber richtige Unterstützung seitens des Staates sei erst nach einigen Tagen gekommen.
Seinen Namen will er nicht nennen. Die Regierungspartei verteile die Aufträge, Kritik werde nicht gerne gehört. Zehn Jahre werde der Wiederaufbau dauern, mindestens. "Maras ist am Ende, viele Leute werden wegziehen", sagt er.
Erdogans Partei sei allgegenwärtig, bestimme alles. Entweder man mache mit und profitiere davon - oder man habe nur Nachteile, meint er. Viele würden deshalb im System Erdogan mitmachen und davon profitieren. Aber vor allem junge, gebildete Menschen hätten kaum Perspektiven.
Wahlergebnis vorhersehbar?
In Maras, aber auch in anderen Erdbebenregionen, ist kaum Wechselstimmung zu spüren. Die Menschen hier werden wohl auch diesmal für Erdogan stimmen.
Auch weil man der Opposition wenig zutraut. Kaum verwunderlich. Denn das Staatsfernsehen und viele regierungsnahe Medien fahren seit Wochen eine Negativkampagne gegen Erdogans Gegner. Die Opposition kommt kaum im Programm vor und wenn doch, wird sie der Unfähigkeit beschuldigt.
Irgendwann komme das in den Köpfen der Menschen an, meint der CHP-Politiker Öztunc. Er zeigt sich aber trotz der schlechten Rahmenbedingungen demonstrativ optimistisch: "Wir werden gewinnen", sagt er der ARD.
Doch was hier in Maras auch klar wird, ist: Die Menschen haben Erwartungen, hoffen, dass Erdogan etwas gegen die starke Wirtschaftskrise unternimmt. Der Bäcker Demir, ein Erdogan-Fan, findet da offene Worte: "Wir müssen Taten sehen, auch von der neuen Regierung. Der Bürger weiß, wann man wählt und wann man abwählt."