Türkei vor Kommunalwahlen Mit Inflationsangst in die Wahlkabine
Das Leben in der Türkei hat sich durch die enorme Inflation rasant verteuert. Das drückt vor der Kommunalwahl am Sonntag auf die Stimmung - in den Städten, aber auch auf dem Land. Ob Mieten oder Einkommen - die Sorgen sind groß.
In Antalya herrscht eigentlich immer Stau, nicht nur im Wahlkampf. Die Straßen der Zwei-Millionen-Metropole an der türkischen Riviera sind ständig überfüllt, vor allem zur Hauptverkehrszeit kommt man kaum vom Fleck.
Teppichhändler Veli findet, die Stadt tue zu wenig gegen das Chaos, er jedenfalls habe in den vergangenen fünf Jahren unter dem jetzigen Oberbürgermeister keinerlei Straßenbauarbeiten feststellen können. Was das auf Dauer für die Stadt bedeute, wolle er sich gar nicht ausmalen , denn Antalya wachse und bekomme immer mehr Zuwanderer.
Kein Wunder, dass der Verkehr eines der zentralen Wahlkampfthemen ist. Der amtierende Bürgermeister Muhittin Böcek von der CHP und sein Herausforderer Hakan Tütüncü von der AKP werben beide mit der Zahl der Verkehrsprojekte, die sie umsetzen wollen.
Wahlkämpfer der AKP in Antalya verbreiten demonstrativen Optimismus. Die Stimmung in der Stadt ist eine andere.
Die Mieten steigen und steigen
Echte Begeisterung kommt bei Verkäuferin Tugba trotzdem nicht auf - für sie komme keiner der Kandidaten in Frage, sagt sie, denn die gingen nur ihren eigenen Interessen nach, weshalb sie dazu tendiere, nicht wählen zu gehen.
Tugba ist 35 und nach ihrer Scheidung gerade erst in ihre Heimatstadt zurückgekehrt, mitten hinein in eine Wohnungskrise, die für sie erhebliche Auswirkungen habe. Die Miete steige stetig, sei innerhalb eines Jahres gleich zweimal erhöht worden, von 1.700 auf 4.000 Lira und sechs Monate später noch einmal auf 9.000 Lira.
Mehr als 250 Euro sind das, für türkische Verhältnisse ein enormer Preis. Obwohl die Stadt und ihre Bewohner vom Tourismusgeschäft profitieren, stöhnen viele unter den Preisen. Sie sind auch deshalb so stark gestiegen, weil nach dem russischen Angriff auf die Ukraine viele Russen und Ukrainer hergezogen sind.
Der Boom und seine Folgen
Teure Mieten und Verkehr - das sind typische Großstadtprobleme in der Türkei. Weil die boomende Urlaubsregion viele Arbeitskräfte anzieht und die Stadt deshalb rasant wächst, sind sie in Antalya aber besonders ausgeprägt.
Teppichhändler Veli führt sein Geschäft in der Altstadt seit mehr als 30 Jahren. In der Gasse aus hellem Sandstein stinkt es nach Kanalisation. Das sei noch so ein Problem, das gelöst werden müsse, da es gerade im Sommer bei Temperaturen von 45 Grad noch mehr rieche, und dafür schäme er sich. Der Bürgermeister aber sei in dieser Legislaturperiode nur einmal vorbeigekommen, viel zu selten, findet Veli. Auch wenn er eigentlich CHP-Wähler sei: Bei dieser Wahl werde er es wohl mit dem Kandidaten der AKP versuchen.
Teppichhändler Veli hat viel an der Politik in Antalya auszusetzen - nicht zuletzt das ständige Verkehrschaos stört ihn.
Lohnt der Gemüseanbau noch?
Knapp 100 Kilometer weiter sieht die Welt ganz anders aus. Statt Verkehrschaos findet man in Kumluca Gewächshäuser, soweit das Auge reicht, es duftet nach Orangenblüten. Die Region um die Kleinstadt lebt von der Landwirtschaft, das allerdings ziemlich schlecht.
Nursel, Hamide und ihre Nachbarinnen sind Bäuerinnen, beim Tee in der Mittagspause ärgern sie sich über die Preise für ihr Gemüse. Nursel zeigt ihr Gewächshaus, in dem Auberginen wachsen, die sie aber nur für 30 Lira das Kilo verkaufen können, trotz des Aufwands, den Anbau und Ernte mit sich bringen. Es ist ein Betrag, für den sie im Supermarkt nichts bekomme.
Dreißig Lira sind umgerechnet etwa ein Euro. Nursels Nachbarin Hamide, die ebenfalls Gemüse anbaut, sagt, sie wisse nicht mehr, wie sie alles bezahlen soll. Denn die Zwischenhändler in der Markthalle zahlten immer noch die Preise vom vergangenen Jahr. Dabei werde alles teurer - Diesel, Dünger, Pestizide.
Die Inflation macht den Gemüseanbau für Bäuerin Sibel zunehmend unattraktiv. Aber wovon soll sie sonst leben, fragt sie sich.
Sorge um die nächste Generation
Zu den niedrigen Erträgen für Landwirte kommt die Inflation: Ihre Kinder sähen keine Zukunft in der Landwirtschaft, erzählt Nursel. Ein Sohn sei arbeitslos, der zweite schufte für den Mindestlohn auf anderen Höfen.
Das, sagen Nursel, Hamide und die anderen, seien aber Probleme, um die sich die Regierung in Ankara kümmern müsse, nicht ihr Bürgermeister in Kumluca. Geht es nach den Frauen, stehen für den einfacher zu lösende Probleme auf der Agenda. Und das mache er gar nicht so schlecht, betonen alle.
Die Stadtverwaltung sammele Pflanzenreste ein, verarbeite sie zu Dünger und verteile ihn an die Bauern. Früher hätten sie die Reste einfach weggeschmissen, es sei dann verbrannt worden. Das Verarbeiten dagegen bewahre die Gegend auch vor Luft- und Umweltverschmutzung.
Die Gegend um Kumluca lebt von der Landwirtschaft. Doch nun überlegen vor allem junge Leute, von hier wegzugehen.
Das Leben wird unerschwinglich
Am Ende aber schwebt überall das Thema Inflation über dem Wahlkampf, in den Städten und auch auf dem Land. Egal, ob hohe Düngerpreise oder steigende Mieten: Die Türkinnen und Türken können sich ihr eigenes Land immer weniger leisten.
An der anhaltenden Wirtschaftsmisere der Türkei dürfte sich nach diesen Wahlen allerdings nichts ändern.