Krieg in Nahost Palästinenser ohne politische Perspektive
Die israelische Regierung bleibt bisher vage, wie es für die Palästinenser im Gazastreifen weitergehen soll - und auch für die Menschen im besetzten Westjordanland. Die sind von ihren politischen Führern enttäuscht.
Ibrahim sortiert Tücher aus Kaschmirwolle und Taschen aus Kamelleder. Die Regale seines Ladens in der Altstadt von Bethlehem sind voll. Nur Kunden kommen keine.
Der Krieg setzt den Palästinensern im besetzten Westjordanland zu. Wer mit ihnen über den Grund für diesen Krieg sprechen will, bekommt schnell Gegenfragen zu hören.
"Schau: Ich bin kein Anhänger der Hamas oder sowas. Ich mag Politik nicht. Ich bin normal", meint Ibrahim. "Aber wenn jemand zu dir nach Hause kommt und deinen Bruder umbringt oder deine Mutter vor deinen Augen. Dann bleibst du ruhig und machst nichts? Nein - du drehst durch und kämpfst."
Abbas unbeliebt
Ibrahim sagt, die Kämpfe müssen aufhören. Es müsse über Frieden geredet werden. Wer aber für die Palästinenser reden soll, weiß er nicht. Nur eines weiß er: Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas soll es nicht sein. "Er redet viel, macht aber nichts", so Ibrahim. Die Menschen brauchten jetzt jemanden, der gut verhandelt. Die Regierungen der Welt müssten sich hinter die Palästinenser stellen. "Aber alle stehen hinter Israel."
Die palästinensische Autonomiebehörde mit dem 88-Jährigen Abbas an der Spitze gilt vielen Menschen hier als zu schwach, zu Israel-freundlich, zu korrupt. Die letzten Wahlen im Westjordanland sind knapp 18 Jahre her.
Gefangene und Märtyrer
Im Flüchtlingslager Dheisheh, südlich von Bethlehem, leben Palästinenser und ihre Nachkommen, die bei der Gründung des Staates Israels vertrieben wurden. Die israelische Armee rückt regelmäßig zu Razzien gegen radikale Einwohner an.
Als Israel im Gegenzug für die Freilassung der Geiseln im Gazastreifen Palästinenser aus seinen Gefängnissen entlassen hat, wurden sie auch in Bethlehem mit Jubelgesängen der Hamas empfangen.
In einem kleinen Imbiss in Dheisheh steht ein junger Mann am Tresen. Er bereitet Salat zu, schneidet Zwiebeln und reibt Käse. Auch er heißt Ibrahim. "Sicher, das Thema der Gefangenen ist sehr wichtig. Am Ende sind sie, wie soll ich das sagen, sind sie unsere Intellektuellen. Sie sind sauber und ehrenhaft. Die Gefangenen planen das Schicksal unserer Freiheit. Manche Gefangenen haben Märtyrer in der Familie und sie selbst sind Gefangene. Sie bringen Opfer, sie tun etwas Gutes für unser Land."
Der 22-Jährige will die Welt entdecken. Doch was außerhalb des Westjordanlands passiert, kennt er nur aus Erzählungen. Touristen würden in zwei Tagen in der Region mehr sehen als er in 22 Jahren.
"Wir sind eine Front"
Junge Palästinenser sehnen sich nach einer Perspektive. Und nach Politikern, die sie ihnen geben können. Abbas mit seiner Fatah-Partei gehört für Ibrahim nicht dazu. Er nennt Marwan Barghuthi und Ahmad Saadat. Beide sitzen in israelischen Gefängnissen, weil sie an Anschlägen beteiligt gewesen sein sollen.
Ähnlich wie in der Altstadt von Bethlehem ist auch im Flüchtlingslager Dheisheh keine Distanz zur Hamas zu hören. "Hamas hat eine militärische Rolle im Widerstand, Marwan hat eine politische und militärische Rolle. Auch Ahmad Saadat. Unsere Einheit ist unsere Stärke", meint Ibrahim.
"Wir müssen eine Hand sein, auch in Gaza. Wir sind eine Front. Wir sind verbunden im Westjordanland und Gaza", erklärt der junge Mann weiter. Natürlich habe man viele politische Probleme, insbesondere mit den Parteien. Aber alle Palästinenser wollten Freiheit - und einen Staat ohne die Probleme um die politische Nachfolge.
Kein Vertrauen in die Autonomiebehörde
Im Gespräch mit den Palästinensern wird schnell klar: Von ihren Politikern erwarten sie nicht mehr viel. Schon gar nicht von der Palästinensischen Autonomiebehörde. Auch wenn sie international als einziger Ansprechpartner gilt: Bei den Menschen vor Ort hat sie kaum noch Rückhalt. Für Gespräche über die Zeit nach dem Krieg in Gaza sind das keine guten Aussichten.