Baerbock im Baltikum Die Übersetzerin des Kanzlers
Außenministerin Baerbock ist in den vergangenen drei Tagen im Baltikum unterwegs gewesen. Die Angst vor russischen Aggressionen ist dort groß. Die Regierungen dort hoffen auf mehr militärische Unterstützung aus Deutschland.
Annalena Baerbock kommt mit schnellen Schritten in den Saal des Deutschen Gymnasiums in Tallinn. Etwa 30 Schülerinnen und Schüler warten aufgeregt auf die deutsche Außenministerin. Die macht es sich in einem rosafarbenen Sessel bequem und stellt gleich einige Fragen. "Wie seht ihr die derzeitige Situation mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine? Was bedeutet das für euch? Habt ihr Mitschüler, die aus der Ukraine gekommen sind?"
Die Antworten sind offen und persönlich. Die Mikrofone bleiben deshalb aus. Baerbock hört, dass Familien darüber streiten, ob sie weiter russisches Fernsehen schauen sollen. Und sie erfährt, wie intensiv die Jugendlichen die Bilder des Krieges in der Ukraine beschäftigt.
Die Außenministerin sprach in Tallinn mit Schülern.
Schüler sind begeistert
Die Außenministerin erklärt lebendig ihre Politik. Sie gestikuliert mit den Händen, sucht den Blick der Schülerinnen und Schüler. Die Grünen-Politikerin ist in ihrem Element. Bei Stella kommt das gut an: "Sie ist sehr süß und ein toller Mensch. Ich bin sehr fröhlich, dass sie in meine Schule gekommen ist. Der erste Eindruck ist sehr gut."
Einen Tag davor steht Annalena Baerbock in Riga vor bunten Glasfenstern. Im prächtigen Festsaal der "Kleinen Gilde" haben sich einst deutsche Handwerker getroffen. Die Außenministerin aus Estland und die Minister aus Lettland und Litauen stehen neben Baerbock. Und die ist ganz anders als in der Schule in Tallinn. Die 41-Jährige liest fast alles, was sie sagt, vom Blatt ab, wirkt konzentriert.
Immer wieder mit Forderungen konfrontiert
Wie überall im Baltikum muss sich die Grünen-Politikerin fragen lassen: Warum unterstützt Deutschland die Ukraine nicht stärker - durch Waffen und einen Stopp russischer Energieimporte? Besonders deutlich wird Gabrielius Landsbergis aus Litauen: "Es gibt nur zwei Seiten in diesem Kapitel der Geschichte: die richtige und die falsche. Nun ist nicht der Moment, zögerlich zu sein. Es ist ein kritischer Zeitpunkt. Eine kritische Probe, auf die wir gestellt werden, die demokratischen Gesellschaften der Welt. Und wir können nicht zulassen, dass die richtige Seite verliert."
Landsbergis lässt später keinen Zweifel, auf welcher Seite er Baerbock sieht. Auf die Frage, ob Deutschland genug unternimmt, um den Krieg zu stoppen antwortet er: Baerbock persönlich tue alles, damit die Ukraine den Krieg gewinnt. Den Namen Scholz nennt er nicht.
Klarere Sprache als Scholz
Während der Bundeskanzler oft vage bleibt, ist seine Außenministerin klarer und konsequenter in ihren Worten. Sie erklärt anschaulich den Ringtausch: Deutschland schickt anderen NATO-Partnern Waffen, die ihre Systeme in die Ukraine liefern. Das eigentlich schon bekannte Konzept macht plötzlich wieder Schlagzeilen. Baerbock wirkt im Baltikum wie eine Übersetzerin des Bundeskanzlers. Inhaltlich trennt die beiden kaum etwas.
Es dürfte die klare Sprache sein, die in Estland, Lettland und Litauen Eindruck hinterlässt. Die deutsche Abhängigkeit von russischen Energielieferungen nennt sie "fatal". Und es kommt noch mehr Selbstkritik: "Wir haben vielleicht nicht genau hingehört, welche Gespräche es seit 2014 in euren drei Staaten bereits gegeben hat", sagt Baerbock. "Daher bin ich hier, um mich in eure Haut zu versetzen, um die Gespräche, die seit Jahren im Baltikum geführt werden, ein bisschen nachempfinden zu können."
Im Dialog mit Soldaten
Im litauischen Rukla sind aktuell etwa 1000 deutsche Soldaten stationiert. An der sogenannten Ostflanke der NATO sollen sie Russland abschrecken, unter anderem mit dem Flugabwehrsystem Ozelot-Stinger. Ein Soldat erklärt Baerbock, wie es funktioniert: "Sollte da ein Flugziel auftauchen, kann ich darüber das Ziel identifizieren, ob es Freund oder unbekannt ist oder feindlich und kann dann per Datenfunk an den Ozelot zuweisen, der dann das Objekt mit einer Stinger-Rakete bekämpft."
In Litauen ließ sich Baerbock deutsche Waffensysteme zeigen.
Die Ministerin fragt nach, wie viele dieser Systeme die Bundeswehr hat. Die Antwort lässt alle Beteiligten etwas ratlos zurück: "Insgesamt haben wir neun Ozelot. Und das ist im Prinzip das, was wir haben." Einige Soldaten werden ihr später berichten, in welch schlechtem Zustand ihre Kaserne ist und Ausrüstung fehlt. Winterjacken zum Beispiel.
Die Außenministerin erklärt, dass die Politik nun alles dafür tun müsse, die Bedingungen zu verbessern. Schließlich hat sie in Aussicht gestellt, bald mehr deutsche Soldaten ins Baltikum zu schicken. Die NATO könnte ihre Präsenz weiter aufstocken, Deutschland soll dabei eine führende Rolle übernehmen. Schließlich gibt Baerbock mehrmals ein Versprechen ab: "Wir hören euch, wir sehen euch, und Deutschland steht an eurer Seite."
Die Menschen im Baltikum hören es gerne. Doch bis das Versprechen eingelöst werden kann, gibt es noch einiges zu tun.