Nach Ausschluss von Ämtern Bolsonaros politische Karriere am Ende?
Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro darf bis 2030 nicht mehr kandidieren. Das entschied das Oberste Wahlgericht. Der 68-Jährige will Beschwerde einlegen - und könnte einen Platzhalter suchen.
Es war der Richterin Carmen Lucia vorbehalten, die entscheidenden Worte zu sprechen. Kurz vor 13 Uhr Ortszeit stimmte sie dafür, Jair Messias Bolsonaro das passive Wahlrecht abzuerkennen. Damit ist dem rechtsradikalen Ex-Präsidenten der Weg zu allen politischen Ämtern bis 2030 versperrt. Bei der kommenden Präsidentenwahl 2026 wird er nicht antreten können.
Fünf der sieben Richter des Obersten Wahlgerichts befinden Bolsonaro für schuldig, sein Amt missbraucht zu haben, um die Wahlen Ende 2022 zu beeinflussen. Unter anderem wird ihm zur Last gelegt, die Wahljustiz angegriffen und das Wahlsystem angezweifelt zu haben.
"Was soll ich jetzt tun?", fragte Bolsonaro gegenüber einem TV-Journalisten nach der Entscheidung, nur um gleich selbst zu antworten: "Ich werde mit meinen Anwälten sprechen, und die Beschwerde, lieber Journalist, geht an den Bundesgerichtshof." Ausgang dort: ungewiss.
Bolsonaro spricht von "Massaker"
Bolsonaro sieht sich als Opfer einer politischen Justiz. Die Entscheidung des Obersten Wahlgerichts bezeichnet er als "Massaker" an ihm. Vor der Wahl, so sagte er am Rande der Beerdigung eines politischen Weggefährten in Mina, sei er durch einen Messerstich in den Bauch schwer verletzt worden. Nun habe ihm die Justiz ein Messer in den Rücken gerammt.
Wie es politisch für ihn nun weitergeht, ist momentan offen. Der Politikwissenschaftler Oliver Stünkel sieht Bolsonaro vor einem Dilemma: Der Ausschluss Bolsonaros von allen politischen Ämtern stelle ein großes Problem dar, weil er entscheiden müsse, wer ihn ersetzen könne. "Das erschwert sein Projekt, die Rechte in Brasilien langfristig zu dominieren."
Bolsonaro ist der erste Ex-Präsident Brasiliens, dem das passive Wahlrecht abgesprochen wird. Mit der Entscheidung des Wahlgerichts sei nicht notwendigerweise das Ende der politischen Karriere des 68-Jährigen besiegelt, meint Politikwissenschaftler Stünkel. In Brasilien sei es oft so, dass gerichtliche Entscheidungen nach einigen Jahren wieder zurückgenommen werden. "Er hat, glaube ich, seine politischen Ambitionen noch nicht aufgegeben."
Stärkung der moderaten Rechten?
Vorerst zumindest braucht er einen Platzhalter. Spekuliert wird, dass Bolsonaro einen seiner Söhne oder seine 27 Jahre jüngere Ehefrau inthronisieren könnte. Sie ließ ihn heute per Instagram garniert mit Bibelzitaten und Liebesschwüren wissen: "Ich stehe unter Ihrem Befehl, mein Hauptmann."
Vier Jahre hat Bolsonaro sekundiert von seiner Gattin, seinen Söhnen und evangelikalen Christen die brasilianische Gesellschaft polarisiert. Wer nicht für ihn oder mit ihm war, wurde diskreditiert. Auch viele konservative Politiker traf der Bannstrahl des rechtsradikalen Bolsonaro.
Die Entscheidung des Obersten Wahlgerichts könnte sich positiv auf das politische Klima in Brasilien auswirken, mutmaßt Politikwissenschaftler Stünkel. Die moderate Rechte Brasiliens könnte dadurch gestärkt werden, denn es sei momentan niemand in Sicht, die oder der die radikalen Kräfte im rechtsradikalen Spektrum so sehr bündeln könne wie Bolsonaro. Vorstellbar, so Stünkel, sei nun auch eine pragmatische und Sachfragen orientierte Zusammenarbeit des linken Präsidenten Lula da Silva mit moderaten rechten Kräften.
Bolsonaro drohen noch weitere Verfahren. Dabei wird es um gefälschte Impfdaten und widerrechtlich angeeigneten Schmuck aus Präsidentenbesitz gehen. Gerichtlich geklärt werden soll auch, welche Rolle er möglicherweise beim Sturm auf das brasilianische Regierungsviertel am 8. Januar gespielt hat.