Vor Brexit-Startschuss Britischer EU-Diplomat wirft das Handtuch
Ein für die Brexit-Verhandlungen mit der EU wichtiger Mann hat heute seinen Rücktritt eingereicht: Der britische EU-Botschafter Ivan Rogers. Hintergründe und Reaktionen aus London.
Der Job eines Diplomaten ist es, in der Außenpolitik hinter den Kulissen zu wirken - und nicht auf offener Bühne. Das galt auch für Ivan Rogers, bislang britischer EU-Botschafter in Brüssel - doch nun ist er überraschend von seinem Posten zurückgetreten.
Für Aufsehen sorgte Rogers bereits kurz vor Weihnachten. Vor wenigen Wochen sickerte seine Einschätzung zu den bevorstehenden Brexit-Verhandlungen durch: Ein neues Handelsabkommen zwischen Großbritannien und der EU zu schließen - zitierte die BBC Rogers aus seinen Gesprächen mit Ministern - das könnte bis zu zehn Jahre dauern; dies sei die Sicht der übrigen 27 Mitgliedsstaaten.
Brexit-Befürworter reagieren gelassen
Jetzt nimmt Rogers vorzeitig seinen Hut - und die Brexit-Befürworter weinen ihm keine Träne nach, auch der konservative Abgeordnete John Redwood nicht: "Er hat eine weise Entscheidung getroffen. Wir wissen, dass er nicht mit vollem Herzen dabei war, uns schnell aus der EU zu kriegen. Es ist besser, wenn die Regierung jetzt jemanden wählen kann, der wirklich an unsere Zukunft als unabhängiges Land glaubt."
Auch Nigel Farage, bis vor kurzem Chef der rechtspopulistischen Anti-EU-Partei UKIP, begrüßte den Rücktritt von Rogers. Dieser sollte seinen Brüsseler Posten eigentlich erst im kommenden November verlassen, geht jetzt aber früher und plötzlich.
Ein Regierungssprecher erklärte, Rogers habe diese Entscheidung getroffen, um Platz für einen Nachfolger zu machen, bevor Großbritannien Ende März Artikel 50 auslöst - sprich: die britische Scheidung bei der EU einreicht.
"Wir verlieren unseren wichtigsten Mann in Brüssel"
Für die oppositionelle Labour Party demonstriert Rogers‘ Rückzug einmal mehr, dass die Regierung keinen Brexit-Plan hat. Hilary Benn, der Vorsitzende des Brexit-Ausschusses im britischen Parlament: "Wir stehen als Land vor den wichtigsten Verhandlungen seit Jahrzehnten. Es geht um unseren Austritt aus der EU. Der Ausgang ist entscheidend für jeden Teil unseres Landes, für unsere Unternehmen und unsere Familien. Da ist es nicht gut, dass wir jetzt überraschend unseren wichtigsten Mann in Brüssel verlieren."
Ob es zwischen Rogers und Premierministerin Theresa May zu einem Zerwürfnis gekommen ist, darüber herrscht Schweigen. Mays Vorgänger David Cameron hatte Rogers - einen Befürworter des britischen EU-Verbleibs - 2013 als obersten Diplomaten nach Brüssel geschickt. Anfang des vergangenen Jahres bereitete Rogers dann jenen EU-Reformdeal vor, mit dem Cameron den Brexit-Volksentscheid zu gewinnen hoffte - was bekanntlich misslang.
Inzwischen ist May am Ruder, und sie muss die letzten Vorbereitungen für den Brexit-Startschuss nun ohne Rogers bestreiten. In ihrer Neujahrsansprache sagte sie: "Wenn ich in diesem Jahr am Brüsseler Verhandlungstisch sitze, dann habe ich im Blick, den besten Deal zu erreichen - nicht nur für diejenigen, die für den EU-Ausstieg gestimmt haben, sondern für alle in diesem Land."
"Mays Chancen haben sich verschlechtert"
Der Zeitplan sieht vor, den Brexit binnen zwei Jahren unter Dach und Fach zu bringen. Einen neuen Vertrag über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen auszuhandeln, könnte allerdings länger dauern; womöglich ist ein Übergangsabkommen nötig.
Der Rücktritt von Rogers verheiße nichts Gutes, meint Charles Grant, der Direktor des "Centre für European Reform". Die Aussichten Mays auf einen guten Verhandlungsabschluss hätten sich verschlechtert, meint er - weil Rogers einer der wenigen britischen Spitzenbeamten sei, der die EU wirklich verstehe.