Abstimmung über Brexit-Deal May kämpft um Mehrheiten
Nach der Einigung mit der EU muss die britische Premierministerin May Kabinett und Parlament vom Brexit-Abkommen überzeugen. Gegenwind kommt gleich von mehreren Seiten.
Von Jens-Peter Marquardt, ARD-Studio London
Seit gestern Abend bearbeitet Premierministerin Theresa May die Kabinettsmitglieder. Sie versucht, sie zu überzeugen und sie zur Zustimmung zum mit Brüssel ausgehandelten Austrittsabkommen zu bewegen. Noch ist unklar, ob ihr das gelingt. Vor der Kabinettssitzung hielten sich die Minister mit Stellungnahmen zurück. Am Nachmittag kamen sie mit ihrer Regierungschefin zusammen. Das außerordentliche Treffen dauert noch an. Es findet in Mays Amtssitz statt und könnte mehrere Stunden dauern.
"Ein schrecklicher Fehler"
Umso heftiger sind dagegen die Reaktionen aus dem Parlament. Die Brexit-Hardliner in Mays konservativer Regierungsfraktion laufen Sturm gegen das Abkommen, obwohl sie die Details noch gar nicht kennen. Boris Johnson, der frühere Außenminister, der im Sommer das Kabinett aus Protest gegen Mays Brexit-Politik verlassen hatte, erklärte, er werde niemals im Parlament für ein solches Abkommen stimmen. Denn dadurch würde Großbritannien in der Zollunion mit der EU und auch in weiten Teilen des Binnenmarkts bleiben - das Land würde zu einem Vasallenstaat Brüssels werden.
Auch die EU-Freunde in der Regierungsfraktion sind nicht überzeugt. Sie setzen sich inzwischen für ein neues Referendum ein. Die konservative Abgeordnete Anna Soubry hofft, dass sich dann die Briten für den Verbleib in der EU entscheiden. "Der beste Deal ist der, den wir jetzt als Mitglied der EU haben", ist sie überzeugt. "Die Bürger erkennen nun, was Brexit wirklich bedeutet. Die Wahrheit ist, dass unser Land einen schrecklichen Fehler gemacht hat. Wir sollten das Recht haben, die Entscheidung zu revidieren, die wir vor zweieinhalb Jahren getroffen haben."
Ex-Außenminister Boris Johnson ist vehement gegen einen Verbleib im Binnenmarkt.
Parlamentsmehrheit ist fraglich
Es sieht also so aus, als würden zahlreiche Abgeordnete aus der Regierungsfraktion das Austrittsabkommen nicht mittragen. Die Konservativen haben ohnehin keine eigene Mehrheit im Unterhaus. Sie sind dort auf die Stimmen der nordirischen Protestanten angewiesen. Auch die zeigten sich heute reserviert. DUP-Chefin Arlene Foster sagte, die Premierministerin wisse, wo die Partei stehe - nämlich "dass wir nichts akzeptieren, was Nordirland vom übrigen Großbritannien trennt, weder in Zollfragen noch in Fragen der Anpassung an EU-Vorschriften".
Doch genau darauf könnte das Abkommen hinauslaufen. Während Großbritannien nur vorübergehend eng mit der EU verbunden bleibt, könnte für Nordirland diese enge Anbindung an den Binnenmarkt und die Zollunion auf Dauer gelten, um so eine Zollgrenze auf der irischen Insel - zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland - zu vermeiden.
Weil auch die Labour-Opposition bisher nicht bereit ist, der Premierministerin aus der Patsche zu helfen, ist eine Mehrheit für das Austrittsabkommen im Parlament derzeit nicht in Sicht.
Der freie Grenzverkehr zwischen Irland und Nordirland ist eine der wichtigsten Punkte der Brexit-Einigung.<br/>
Entscheidende Minister wohl auf Linie
Heute aber geht es erst einmal um das Kabinett. Hier könnte May mehr Erfolg haben. Nach britischen Medienberichten hatte sie die entscheidenden Minister wohl schon vor dem Treffen auf Linie gebracht. Und den Rücktritt des einen oder anderen Staatssekretärs oder Ministers eines kleinen Ressorts könnte sie politisch überleben.
Nicht aber eine Niederlage im Parlament. Dort muss sie hoffen, dass ihr letzter Trumpf sticht: die Alternative eines "No Deal", eines Austritts ohne Abkommen. Die Aussicht auf ein wirtschaftliches Chaos in Großbritannien nach dem 29. März 2019 könnte auch zögernde Abgeordnete zur Zustimmung bewegen.