Brexit-Unterhändler einig "Wir haben einen Deal"
Es ist vollbracht: Die EU und Großbritannien haben sich auf einen Brexit-Vertrag geeinigt. Das bestätigten Kommissionspräsident Juncker und Premier Johnson. Durch ist die Einigung damit aber noch längst nicht. Schon jetzt gibt es Ablehnung.
Die EU und Großbritannien haben sich zusammengerauft und nach Angaben von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und dem britischen Premier Boris Johnson einen Durchbruch erzielt. "Wo ein Wille ist, ist auch ein Deal - wir haben einen", schrieb Juncker über den Kurznachrichtendienst Twitter.
Er empfahl den Staats- und Regierungschefs, das Abkommen bei dem am Nachmittag beginnenden Spitzentreffen mitzutragen. "Es ist eine faire und ausgewogene Vereinbarung für die EU und Großbritannien und es steht für unseren Einsatz, Lösungen zu finden", schrieb er ebenfalls auf Twitter. Das EU-Parlament muss noch zustimmen.
Premier Boris Johnson sprach von einem "großartigen neuen Abkommen" und warb um die Zustimmung des Unterhauses, das am Samstag zu einer Sondersitzung zusammentreten soll und ebenfalls zustimmen muss. Mit der Vereinbarung erhalte das Vereinigte Königreich "die Kontrolle zurück", sagte Johnson. Das Parlament solle nun den Brexit am Samstag vollenden - dann könne sich Großbritannien "anderen Prioritäten" wie den Lebenshaltungskosten, dem Gesundheitssystem und dem Kampf gegen Verbrechen zuwenden.
Die nordirisch-protestantische Partei DUP gab laut britischem Sender BBC allerdings umgehend bekannt, sie habe einem Brexit-Abkommen noch nicht zugestimmt. Die Mitteilung vom Morgen gelte weiterhin - trotz Beteuerungen aus Brüssel und London, es habe eine Einigung gegeben, berichtete die BBC unter Berufung auf DUP-Kreise.
DUP hat Schlüsselrolle im Unterhaus
Parteichefin Arlene Foster und Fraktionschef Nigel Dodds hatten am Morgen mitgeteilt, dass sie mit dem Stand der Verhandlungen nicht einverstanden seien. Der DUP fällt beim Ringen um eine Mehrheit für ein Abkommen im britischen Unterhaus eine Schlüsselrolle zu, weil Johnsons Minderheitsregierung auf die zehn Abgeordnetenstimmen der DUP angewiesen ist.
Zudem ließ eine ganze Reihe Abgeordneter aus Johnsons Konservativer Partei durchblicken, dass die Haltung der DUP für ihr eigenes Abstimmungsverhalten ein wichtiger Punkt sein werde.
Einigung umfasst vier Punkte
Streitpunkt war bisher die enthaltene Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland, der sogenannte Backstop. Johnson wollte ihn unbedingt streichen. Nach langem Hin und Her fand man eine Alternative.
EU-Brexit-Unterhändler Michel Barnier zufolge umfasst die Einigung nun vier Punkte: Nordirland hält sich weiter an bestimmte EU-Warenstandards und bleibt in einer speziellen Zollpartnerschaft in der EU und in der Zollunion des Vereinigten Königreichs. Zudem gebe es eine Vereinbarung über die Mehrwertsteuer, um Marktverzerrungen zu vermeiden. Die nordirische Volksvertretung könne zudem über vier Jahre nach Inkrafttreten der Vereinbarung und nach bestimmten Zeiträumen immer wieder darüber abstimmen, ob sie weiter gelten solle. Die jetzige Vereinbarung sei keine Übergangslösung, sie gelte dann auf Dauer.
Die politische Erklärung über die künftigen Beziehungen der EU zu Großbritannien wurde darüber hinaus laut Barnier geändert. Großbritannien gebe darin "solide Garantien", dass EU-Standards wie Umwelt- oder Sozialauflagen nicht unterboten werden. Das sei das bestmögliche Ergebnis, so der EU-Brexit-Unterhändler.
Labour-Chef Corbyn lehnt Deal ab
Labour-Chef Jeremy Corbyn kritisierte das Abkommen. Johnson habe einen noch schlechteren Deal ausgehandelt als seine Vorgängerin Theresa May - und deren Verhandlungsergebnis sei krachend abgelehnt worden. Er rief die Abgeordneten des britischen Parlaments auf, das Abkommen abzulehnen, und forderte erneut ein zweites Brexit-Referendum. Die Briten hatten vor etwa drei Jahren mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt.
Johnson will sein Land am 31. Oktober aus der Staatengemeinschaft führen. Wiederholt hatte er Brüssel mit einem ungeregelten Brexit gedroht. Für den Fall hatten Experten chaotische Verhältnisse für die Wirtschaft und zahlreiche andere Lebensbereiche vorhergesagt.
Seit Tagen verhandelten beide Seiten deshalb über Änderungen an dem Austrittsvertrag, den die damalige Premierministerin Theresa May 2018 noch mit Brüssel vereinbart hatte. Ihr Nachfolger verlangte Änderungen, weil er eine zu enge Bindung an die EU fürchtete.