Ein Lastwagen, der zum Hafen von Dover in Kent fährt, passiert ein Wandbild des Künstlers Banksy.
Analyse

Handelsabkommen nach Brexit In jedem Zollbündnis stecken Tücken

Stand: 16.03.2019 15:34 Uhr

Welche Handelsbündnisse eignen sich am besten für Großbritannien nach einem Austritt aus der EU? Die "norwegische Lösung" ist schon länger im Gespräch. Ein neuer Vorschlag: das Modell "Zollverein".

Eine Analyse von Wolfgang Landmesser, WDR

Norwegen ist das größte Mitglied der europäischen Freihandelszone EFTA - und könnte damit zum "Rettungsfloß" für Großbritannien werden: Mit dieser Idee platzte der Labour-Abgeordnete Stephen Kinnock im vergangenen November in die gerade hochkochende Brexit-Diskussion.

Da zeichnete sich ab, dass es knapp wird für den Deal, den Premierministerin Theresa May mit der EU ausgehandelt hatte. Auch der Tory-Abgeordnete Nick Boles bezeichnete "Norwegen Plus" als Alternative zur im Vertrag mit der EU vorgesehenen Übergangsphase. Großbritannien könnte vorübergehend der EFTA beitreten, bis das Land einen dauerhaften Vertrag mit der EU ausgehandelt habe, so sein Vorschlag.

Gabriel Feldenmayr, neuer Leiter des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel

EFTA allein würde Großbritannien aber nicht viel bringen, meint Gabriel Feldenmayr, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW).

EFTA - "nicht der richtige Klub"

Der EFTA gehören neben Norwegen Island, Liechtenstein und die Schweiz an. EFTA allein würde Großbritannien aber nicht viel bringen, meint Gabriel Felbermayr, der neue Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW). Denn die Struktur der weltweit fünftgrößten Volkswirtschaft unterscheidet sich grundsätzlich von der norwegischen. So gebe es in EFTA spezielle Regeln für den in Norwegen bedeutenden Fischfang. Das britische Wirtschaftsmodell sei dagegen von der Banken- und Finanzwirtschaft geprägt - und EFTA damit kaum der richtige Klub für die Briten.

Auch die Norweger selbst sind nicht begeistert von der Idee, das Vereinigte Königreich mit am Tisch sitzen zu haben. Der kleine EFTA-Verein vertritt bisher 16 Millionen Menschen, mit Großbritannien kämen 66 Millionen dazu, die vierfache Einwohnerzahl. Das Land würde die Freihandelszone klar dominieren und die Strukturen sprengen. So könnte der EFTA-Gerichtshof die zusätzliche Arbeit durch künftige Streitfälle kaum bewältigen.

EWR - ohne Einfluss im Binnenmarkt

Sinnvoller für Großbritannien wäre eine Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), meint Handelsexperte Felbermayr. Denn nur dann könnte das Land weiterhin alle Vorteile des Europäischen Binnenmarkts nutzen und seine Finanzdienstleistungen in der ganzen EU anbieten. Andererseits müssten die Briten damit leben, die Binnenmarkt-Regeln nicht mitbestimmen zu können.

Das ist auch ein Problem für Norwegen, das ebenfalls dem EWR angehört. Die Abhängigkeit von EU-Entscheidungen war immer wieder Thema in der norwegischen Politik. Aber bisher hat das Land diesen Nachteil akzeptiert, weil es dafür seine Produkte überall in der EU zollfrei verkaufen kann. Ob sich das stolze Großbritannien das lange gefallen ließe, ist zweifelhaft.

"Zollverein" - ein Vorschlag des IfW

Deswegen haben Felbermayr und einige seiner Kollegen ein neues Brexit-Modell vorgeschlagen: einen Zollverein zwischen der EU und Großbritannien. Die Idee: Das Vereinigte Königreich und die EU-Mitgliedsstaaten würden beim klassischen Warenaustausch zusammenarbeiten, also beim Handel mit Autos, Chemikalien oder Nahrungsmitteln. In diesen Bereichen gäbe es keine Zölle und keine sonstigen Handelsbeschränkungen, etwa wegen unterschiedlicher Produktstandards. Und die Briten würden mit am Tisch sitzen, wenn die EU neue Handelsverträge abschließt - zum Beispiel mit den USA.

Dadurch wäre schon das wichtigste Ziel erreicht, meint IfW-Chef Felbermayr: Die hochspezialisierte Arbeitsteilung zwischen Großbritannien und dem Kontinent könnte weiter laufen - und die "Just-in-time"-Produktion in der Autoindustrie würde nicht zusammenbrechen. Bei der Einführung von Grenzkontrollen dagegen wäre die pünktliche Anlieferung von Autoteilen zur Endmontage nicht mehr möglich – mit der Folge erheblicher wirtschaftlicher Einbußen.

Dafür allerdings müssten beide Seiten bereit sein, von roten Linien abzurücken. Der Traum von einer völlig unabhängigen Handelspolitik wäre mit der Mitgliedschaft im Zollverein geplatzt. Andererseits müsste die EU ihr Prinzip aufgeben, dass die europäischen Grundfreiheiten unteilbar sind - also der freie Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital sowie die Personenfreizügigkeit.

Finanzdienstleistungen bei Zollverein außen vor

Im Bereich Finanzdienstleistungen würde Großbritannien frei schalten und walten können - ohne Rücksicht auf Regulierungen aus Brüssel. London müsste sich dann keine Sorgen mehr machen, dass die Banken die Bürotürme in der "City" verlassen.

Dafür wäre mit der Lösung "Zollverein" ein wesentliches Problem vom Tisch: Die Grenze zwischen der Republik Irland und Nordirland könnte offen bleiben, denn der Freihandel bei Gütern würde ja weiter gehen; Grenzkontrollen wären nicht notwendig. In Großbritannien jedenfalls habe der Vorschlag bereits Wellen geschlagen, sagt Gabriel Felbermayr, der die Idee auch in der BBC vorgestellt hat.

Thema Handel in der Dauerschleife

Mit dem aktuellen Deal dreht sich die Diskussion dagegen im Kreis: Der sogenannte Backstop ist für viele Briten wie die Pistole auf der Brust. Sie befürchten, dadurch dauerhaft in der Zollunion mit der EU bleiben zu müssen. Gemeinsame Zölle sollen nach Theresa Mays Brexit-Deal zwar nur für eine Übergangszeit gelten.

Sobald Großbritannien eine eigene Zollpolitik machen will, gibt es aber Probleme mit der irischen Grenze, wo es dann Kontrollen gäbe Das will die EU auf keinen Fall hinnehmen. Im Zweifel müssten die Briten dann akzeptieren, dass Nordirland vom Rest des Königreichs abgetrennt wird - und die neue Grenze in der irischen See verläuft.    

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten WDR 5 am 16. Januar 2019 im "Morgenecho" ab 06:05 Uhr und tagesschau24 am 14. März 2019 um 15:00 Uhr.