Ein Jahr nach Charlottesville Die Wunden sind noch nicht verheilt
Ein Jahr nach dem tödlichen Angriff eines Neonazis auf Demonstranten in Charlottesville sitzt das Trauma noch tief. Aber es schließen sich immer mehr Bürger dem Kampf gegen Rassismus an. Rechtsextremisten wollen heute vor dem Weißen Haus protestieren. Eine Gegendemonstration ist angekündigt.
"Gone, but not forgotten" - Du bist nicht mehr hier, aber vergessen bist du nicht. Meterlang ist die geklinkerte Wand in der vierten Straße von Charlottesville mit Kreide beschrieben. Es sind Botschaften für Heather Heyer. Vor genau einem Jahr wurde sie dort von einem Rechtsextremen getötet, der mit seinem Auto in eine Gruppe von Demonstranten raste.
Traumatisiert von Brutalität und Gewalt
Verarbeitet habe die Stadt dieses Wochenende vor einem Jahr längst noch nicht, sagt Jackson Landers, ein Lokaljournalist aus Charlottesville. Viele Bürger seien traumatisiert von der Brutalität und der Gewalt, von der Erinnerung an die Straßenschlachten.
Auf Lokaljournalist Jackson Landers wirkt die Stadt von den Ausschreitungen im vergangenen Jahr traumatisiert.
Die Stimmung ist vergiftet", sagt er. "Wenn ich früher an einem Freitagabend hier durch die Innenstadt gelaufen bin, habe ich alle paar Meter vier oder fünf Leute getroffen, die ich kannte. Wenn ich den gleichen Weg jetzt gehe, sehe ich auf der ganzen Strecke vielleicht ein oder zwei Leute, die ich kenne. Was ist da nur los? Die Menschen hier kommen nicht mehr so zusammen wie früher. Es ist, als sei die Stadt krank.
Die Helden des Bürgerkrieges thronen weiter auf ihren Sockeln
Wer Charlottesville nicht gut kennt und heute besucht, der merkt davon erst einmal nichts. Die kleine Stadt mit knapp 50.000 Einwohnern wirkt ruhig, friedlich und freundlich. Vom Hass rechter Gruppen ist nichts zu spüren. Doch die Idole der Nationalisten, die Helden des Bürgerkriegs im 19. Jahrhundert, sie thronen in Charlottesville noch auf ihren Sockeln.
Für viele bedeuten die Denkmäler der Südstaaten-Generäle eine Verherrlichung der Sklaverei und der Unterdrückung dieser Zeit. So wie für Lisa Woolfork, die sich neben ihrem Job als Professorin für die Menschenrechtsbewegung "Black Lives Matter" engagiert.
"Hier in Charlottesville erinnert viel an die Vorherrschaft der Weißen", sagt Woolfork. "Zum Beispiel die Statue von General Lee. Sie ist mitten in der Stadt. Es gibt immer noch Menschen, die diese Monumente bewundern." Dies sei neben den Aufmärschen nur ein Beispiel von vielen, wie sich weiße Vorherrschaft im Alltag zeigt.
Nachdem darüber nachgedacht wurde, die Denkmäler von Bürgerkriegsgenerälen wie Robert E. Lee abzubauen,...
Konservatismus stärker als Gerechtigkeit
Dass die Stadt darüber nachdachte, die Denkmäler der Generäle abzureißen, war vor einem Jahr der Anlass für rechte Gruppen aus den gesamten USA, sich in Charlottesville zu versammeln. Die Denkmäler stehen noch. Viele Institutionen der Stadt hätten sich seit der Eskalation der Gewalt nicht geändert, sagt die Aktivistin Lara Harrison. Der Konservatismus sei stärker als die Gerechtigkeit, beklagt sie.
Was sich geändert hat, ist der Biss, mit dem die Menschen hier gegen Rassismus kämpfen. Aktivisten und die Mitglieder unserer Community stellen sich dem in den Weg. Sie äußern ihre Forderungen und schützen diejenigen, die in unserer Gesellschaft am verletzbarsten sind.
Es geht um mehr als rechte Aufmärsche
So sieht das auch der Diakon Don Gathers. Er sagt, die Stadt sei zusammengerückt. Immer mehr Bürger hätten sich dem Kampf gegen Rassismus angeschlossen. Man habe sich erfolgreich gewehrt gegen den Angriff von rechts.
Doch langfristig gehe es nicht nur um den Aufmarsch, um die Diskussion um die weiße Vorherrschaft, die "white supremacy". Gathers sieht größere Probleme. Der Rassismus sei tief im Alltag verankert. Die Chancen in Charlottesville seien nicht für alle gleich, wenn es etwa um Gehalt, Bildung oder Sicherheit geht.
Diakon Gathers kämpft gegen Rassismus im Alltag.
"Wir können uns nicht mit diesen großen Problemen beschäftigen, solange wir nicht mit diesem Wochenende fertig geworden sind", sagt Gathers. "Wenn es für dieses Jahr vorbei ist, dann müssen wir uns fast schon wieder um nächstes Jahr kümmern. Ich hasse es, das alles einen Jahrestag zu nennen, weil es so tragisch ist. Das ist ein niemals endender Zyklus."
Die Wunde, die der gewaltsame Aufmarsch im vergangenen Jahr aufgerissen hat, sie ist in Charlottesville noch lange nicht verheilt. Jedes Jahr im August wird sie vielen Bürgern wehtun - denn sie geht einher mit der Angst, dass sich alles wiederholen könnte.