100 Tage bis zum EU-Referendum Brexit bringt Briten noch nicht ins Grübeln
In genau 100 Tagen ist es soweit - die Briten setzen ihr Kreuz und entscheiden, ob Großbritannien künftig noch Teil der EU sein soll. Doch obwohl die Zeit langsam knapper wird, bereitet vielen Bürgern die Frage nach einem möglichen Brexit bislang kaum Kopfzerbrechen.
Heute in 100 Tagen ist der 23. Juni. Ein Tag, der zum Schicksalstag werden könnte - für das Vereinigte Königreich und für Europa. Dann entscheiden die Briten, ob sie drin bleiben in der EU. Wie es ausgeht, ist laut Umfragen noch völlig offen.
Doch nicht jeden in England treibt der Gedanke um den möglichen Brexit so um, wie die Politiker auf EU-Ebene und im britischen Parlament. Peter etwa: Er ist Anfang 20, arbeitet in Hartlepool im Norden Englands und hat noch gar nicht mitbekommen, dass er in 100 Tagen abstimmen darf über "In" oder "Out" - rein oder raus. Matty hat dagegen zwar schon vom Referendum gehört, will aber nicht wählen gehen. Weil er keine Ahnung habe, was wirklich die bessere Entscheidung sei, sagt der 24-Jährige.
Obwohl Radio, Fernsehen und Zeitungen seit Wochen das Für und Wider eines Brexit debattieren, treibt der bevorstehende Volksentscheid den gemeinen Briten offenbar noch nicht wirklich um. Immer noch rund jeder Fünfte ist unentschieden, wo er am 23. Juni sein Kreuz machen wird.
Eigenständigkeit gegen die Sicherheit der Gemeinschaft
Katie dagegen will auf jeden Fall für "Leave" stimmen. Die Konditorin findet, die EU sei wie eine Diktatur. Die 24-Jährige meint, Großbritannien solle wieder auf eigenen Füßen stehen, wieder unabhängig werden. "Bloß nicht", sagt hingegen der Londoner Philosophie-Student Elliott. Terrorgefahr, wirtschaftliche Turbulenzen - die Welt sei ein so unsicherer Ort geworden, dass man mit anderen Ländern enger zusammenarbeiten müsse, begründet er seine Sicht gegen einen Brexit.
In der politischen Debatte duellieren sich derweil David Cameron und Boris Johnson: Der Premierminister gegen den Londoner Bürgermeister, konservativ gegen konservativ. Cameron mutiert gerade vom EU-Kritiker zum EU-Verteidiger und warnt vor einem Sprung ins Ungewisse: "Wenn ich an unsere finanzielle Sicherheit denke, dann sind wir am besten dran in einem reformierten Europa. Ich hoffe, dass wir uns dafür entscheiden - zum Wohle jeder Familie in unserer großartigen Nation."
Londons Bürgermeister Boris Johnson stellt sich gegen den Verbleib Großbritanniens in der EU und damit auch gegen den Kurs von Premierminister David Cameron.
Ordentlich ins Zeug legt sich aber auch sein Kontrahent Johnson: Hat der doch beste Chancen, Camerons Amt zu besetzen, sollte dieser das EU-Referendum verlieren. Es sei an der Zeit, sagt Johnson, "einen neuen Deal abzuschließen, der gut für Großbritannien und gut für die EU ist".
Umfragen sehen EU-Befürworter vorn
Die meisten Wähler kümmert das Schicksal der EU wenig, wohl aber die Zuwanderung im eigenen Land. Und gerade die Flüchtlingskrise schadet auf der Insel dem Ansehen der EU. Bis zur Abstimmung kann noch viel passieren, und die letzten Wochen - bis hin zu den letzten Tagen - davor dürften entscheidend sein, sagt Politik-Professor Matthew Goodwin von der Universität Kent. Er verweist darauf, dass die Umfragewerte seit dem vergangenen Sommer relativ stabil und pro EU sind: "In den Online-Umfragen hat die In-Kampagne meist ein bis zwei Prozentpunkte Vorsprung, in den Telefon-Umfragen sogar zwischen acht und 18 Prozentpunkten. Die Out-Kampagne dagegen hat bislang nirgendwo deutlich und konstant vorn gelegen."
Allerdings signalisieren einige Befragungen deutliche Ausreißer. Ältere Bürger und Engländer, die auf dem Land leben, sind tendenziell für den Ausstieg. Die Jüngeren, die Londoner und die Schotten sind tendenziell für die EU. Heute in genau 100 Tagen wird's für beide Lager ernst.