Britische Reformwünsche Cameron pokert um den "Brexit"
Der britische Premier Cameron will heute beim EU-Gipfel eine EU-Reform durchsetzen. Denn bald sollen die Briten entscheiden, ob ihr Land in der EU bleibt oder aussteigt. Welche Risiken birgt Camerons Pokerspiel um den "Brexit"?
Im Januar 2013 verspricht David Cameron seinen Landsleuten erstmals, dass sie abstimmen dürfen - darüber, ob die Briten drin bleiben in einem reformierten europäischen Club oder lieber austreten. Das Pokerspiel beginnt.
Der junge konservative Premierminister ist da knapp drei Jahre im Amt, und in den Umfragen sitzt ihm die United Kingdom Independence Party UKIP im Nacken, die Anti-EU-Partei auf der Insel. Deren Chef, Rechtspopulist Nigel Farage, wettert seit Jahren - tagein, tagaus - gegen die EU. Er geriert sich dabei als Kämpfer für mehr Demokratie.
Cameron in den eigenen Reihen unter Druck
Aber nicht nur das EU-feindliche Getöse von UKIP dringt in Camerons Ohr, sondern auch das laute Murren seiner eigenen konservativen Hinterbänkler. Die Tories streiten sich seit Jahrzehnten mit schöner Regelmäßigkeit über Europa. Bis zu 100 Abgeordnete - jeder dritte in der konservativen Fraktion - gelten als EU-skeptisch. Einer der Hardliner ist Parlamentsveteran John Redwood. "Wir wollen unser Land wieder selbst regieren, wir wollen in Zukunft wieder eine eigene Rolle auf der Weltbühne spielen", sagt er. "Die EU dagegen beschädigt unsere Freiheiten - und wir mögen es nicht, von Eurokraten in Brüssel herumkommandiert zu werden."
Selbst die zahlreichen britischen Extrawürste machen die Euro-Rebellen nicht satt: weder der Rabatt beim EU-Beitrag noch das Nicht-Mitmachen beim Euro noch das Ausscheren aus dem Schengen-Raum. Einzig der "Brexit", der EU-Ausstieg, argumentieren sie, löse alle Probleme.
Wahlsieg änderte 2015 die Ausgangslage
Eine aussterbende Spezies bei den Konservativen scheint dagegen ein Mann wie der frühere Schatzkanzler Kenneth Clarke zu sein, der für den europäischen Staatenbund wirbt. "Wir sind in der EU, weil es unsere Stimme in der Welt kräftiger macht", sagt er. Außerdem sei die EU-Mitgliedschaft langfristig gut für die britische Wirtschaft. "Die Welt von heute ist komplizierter geworden, die Nationen sind stärker voneinander abhängig. Wir sind einfach moderner und erfolgreicher, wenn wir in der EU sind", so Clarke.
Als der Premier vor drei Jahren den EU-Volksentscheid versprach, galt es als unwahrscheinlich, dass es jemals dazu kommt. Cameron regierte seinerzeit noch gemeinsam mit den Liberaldemokraten, und die wollen die britische EU-Mitgliedschaft auf keinen Fall gefährden. Aber dann mischte das Wahlvolk die Karten neu: Der Spieler Cameron gewann 2015 überraschend eine absolute Mehrheit und musste alles auf eine Karte setzen: erst EU-Reform, dann EU-Referendum.
Opposition stützt Cameron im Reformpoker
Anders als auf seine eigene Partei kann sich Cameron bei seinem EU-Reformpoker auf die Opposition verlassen, denn die ist weitgehend pro-europäisch: Allen voran die schottische Nationalpartei SNP, die bereits mit einem zweiten Unabhängigkeitsreferendum droht, sollten die Briten für den "Brexit" stimmen. Auch die offizielle Linie der Labour Party lautet: Mitzuspielen ist besser, als nicht dabei zu sein. Zu den Abweichlern zählt aber die Labour-Abgeordnete Gisela Stuart, die deutsche Wurzeln hat. "Bei seiner EU-Reform hat Cameron die Latte sehr niedrig gehängt - und es würde mich sehr überraschen, wenn er mit einem Paket zurückkommt, das mich überzeugt. Mein Instinkt ist: Es wird nicht gut genug sein für das britische Volk", sagt Stuart.
Der Regierungschef seinerseits hofft darauf, dass ihn die 27 EU-Partner beim Gipfel nicht hängen lassen, sondern ihm ein günstiges Blatt bescheren - indem sie seine Reformwünsche weitgehend erfüllen. Erst recht, da sich in den jüngsten Meinungsumfragen die Waagschale zu Gunsten der EU-Gegner neigt. Vor dem Showdown in Brüssel gelobt Cameron bei einem Besuch in Hamburg vor wenigen Tagen: "Kriegt Großbritannien einen besseren EU-Deal, dann werde ich den Briten uneingeschränkt empfehlen, in der EU zu bleiben".
Zu Hause in London aber stehen einige seiner EU-skeptischen Minister schon in den Startlöchern: Sie drängen den Regierungschef dazu, unmittelbar nach dem EU-Gipfel eine Kabinettssitzung einzuberufen. Sie wollen den Maulkorb loswerden und endlich öffentlich für den "Brexit" werben dürfen. Cameron spielt also weiter mit höchstem Einsatz, und er kann seine Mitspieler nicht kontrollieren. Ob er das Pokerspiel gewinnt, haben die britischen Wähler in der Hand.